Der zeitlose Winter
Weile fragte er, wer denn die Blumen über die Türschwelle gestreut hatte.
›Oh, das war natürlich ich‹, sagte die Prinzessin.
›Und was bitte soll das bedeuten?‹, fragte der Riese.
›Ach!‹, flötete die Prinzessin, ›ich mag Euch so sehr, dass ich nicht anders konnte, als sie dort zu verstreuen, da ich wusste, dass Euer Herz darunter liegt.‹
›Was du nicht sagst‹, brummte der Riese, ›aber nun, da du es erwähnst – mein Herz liegt gar nicht dort.‹ Als sie also am Abend zu Bett gingen, bat die Prinzessin den Riesen erneut ihr anzuvertrauen, wo er denn sein Herz aufbewahre.
›Nun gut‹, sagte der Riese, ›wenn du es unbedingt wissen willst: Es liegt dort drüben in dem Schrank an der Wand.‹
›So, so‹, dachten Stiefelchen und die Prinzessin, ›dann werden wir es bald zu finden wissen.‹ Am nächsten Morgen brach der Riese früh auf und ging in den Wald, und kaum war er gegangen, suchten Stiefelchen und die Prinzessin in dem Schrank nach seinem Herz. Doch so sehr sie auch suchten, sie fanden es nicht.
›Nun‹, sagte die Prinzessin, ›wir werden es noch einmal versuchen.‹ So schmückte sie den Schrank mit Blumen und Girlanden, und als es Zeit war, dass der Riese nach Hause kam, kroch Stiefelchen wieder unter das Bett.
Und der Riese kam zurück. ›Bei meinen Augen und Gliedern, was riecht es hier nach Blut!‹
›Ich weiß‹, sagte die Prinzessin, ›denn vor einer Weile kam eine Elster geflogen, mit einem Menschenknochen in ihrem Schnabel, und den ließ sie in den Schornstein fallen. Ich sputete mich, ihn wieder aus dem Haus zu schaffen, doch selbst nach all meinen Bemühungen, wird es wohl das sein, was Ihr riecht.‹«
»Wow«, sagte Fischmehl. »Wenn er ihr das ein drittes Mal geglaubt hat, muss sie nackt gewesen sein, als sie es ihm erzählt hat.«
»Das ist äußerst unhöflich«, sagte der Kopf.
»Tut mir Leid«, sagte Fischmehl.
»Als der Riese ihre Geschichte hörte, sagte er nichts mehr dazu. Wenig später sah er jedoch, dass der Schrank mit Blumen und Girlanden geschmückt war. Er fragte also, wer das getan hatte. Wer konnte es schon gewesen sein, außer der Prinzessin?
›Und was bitte bedeutet dieser ganze Unsinn?‹, fragte der Riese.
›Oh, ich mag Euch so sehr, dass ich nicht anders konnte, da ich wusste, dass Euer Herz dort liegt‹, sagte die Prinzessin.
›Wie kannst du so töricht sein, das zu glauben?‹, fragte der Riese.
›Ja, wie kann ich anders, als es zu glauben, wenn Ihr es doch sagt?‹, erwiderte die Prinzessin.
›Du dumme Gans‹, sagte der Riese, ›wo mein Herz ist, würdest du nie erraten.‹
›Nun‹, sagte die Prinzessin, ›trotz allem wäre es eine solche Freude zu wissen, wo es wirklich liegt.‹
Da konnte der arme Riese nicht mehr länger an sich halten, sondern platzte heraus: ›Weit, weit weg in einem Fluss liegt eine Insel. Auf dieser Insel steht ein Turm und in diesem Turm ist ein Brunnen. In diesem Brunnen schwimmt eine Ente, in dieser Ente ist ein Ei, und in diesem Ei liegt mein Herz.‹«
»Das ist ein ziemlich gutes Versteck«, sagte Fischmehl anerkennend.
»Hast du eine Ahnung!«, sagte der Kopf. »Früh am nächsten Morgen, als es noch graue Dämmerung war, ging der Riese in den Wald.
›Nun muss auch ich aufbrechen‹, sagte Stiefelchen, ›wenn ich nur wüsste, wie ich den Weg finden soll.‹ Und er nahm einen langen, langen Abschied von der Prinzessin.«
»Ich hab mich schon gefragt, wann du dazu kommen würdest«, sagte Fischmehl.
»Wie bitte?«
»Schon gut.« Fischmehl kratzte sich zerstreut im Schritt. »Was ist als Nächstes passiert?«
»Als er aus der Tür des Riesen trat, stand dort der Wolf und wartete auf ihn. Also erzählte Stiefelchen ihm alles, was im Haus geschehen war, und sagte, er wolle nun zu dem Brunnen in dem Turm reiten, wenn er nur den Weg wüsste. So hieß ihn der Wolf auf seinen Rücken springen und sagte, dass er den Weg bald finden würde. Los liefen sie, dass der Wind ihnen hinterherpfiff, über Hecke und Feld, über Berg und Tal. Nachdem sie viele, viele Tage gereist waren, kamen sie schließlich an den Fluss. Der Prinz wusste nicht, wie sie ihn überqueren sollten, doch der Wolf bat ihn, sich nicht zu fürchten, er sollte sich nur festhalten. Mit dem Prinzen auf dem Rücken sprang er ins Wasser und schwamm zu der Insel hinüber. Sie kamen zu dem Turm, doch die Tür war verschlossen, und die Schlüssel zu der Tür hingen so hoch, dass sie sie nicht erreichen konnten. Lange
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