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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Aufgang oder Untergang eines bestimmten Sterns beobachtete, wenn sich dieser in der Nähe der aufgehenden oder untergehenden Sonne befand. Und da es sieben Objekte gab, die sich vor dem Sternenhintergrund bewegten - fünf Planeten, der Mond, und die Sonne – erfanden die Menschen des Altertums die Sieben-Tage-Woche.«
    »Hätten sie die anderen Planeten eher entdeckt, wäre die Woche also elf Tage lang?«
    »Die alten Kulturen konnten die wahre physikalische Beschaffenheit dieser sieben Himmelskörper nicht ergründen. Es war also nur natürlich, sie zu Göttern zu erheben und ihre sich verändernden Positionen genau zu überwachen – eine Form der Anbetung, nehme ich an. Die Menschen, die diese Aufgaben beherrschten, hatten gewaltige Macht über die Bevölkerung und die Regierenden. Sie wurden als Priester verehrt und man behandelte sie als getrennten, nahezu unberührbaren Teil der Gesellschaft. Sie entwarfen sogar Tempel mit astronomischer Ausrichtung, um die Wendepunkte von Sonne und Mond zu verfolgen.«
    »Dauerhafte Kalender«, sagte Wasily.
    »Gewissermaßen«, erwiderte Fischmehl. »Obwohl einige Kulturen noch weiter gegangen sind – im Mittleren Osten wurde schließlich eine Fülle komplizierter Regeln ausgearbeitet, um den himmlischen Tanz als Wegweiser des menschlichen Schicksals zu interpretieren.«
    »Astrologie«, warf Wasily ein.
    »Ja. Die Pseudo-Wissenschaft Astrologie und ihre Horoskope entstanden direkt aus dieser Synthese von Wissenschaft und Religion.«
    »Soweit ich weiß, war das kein Einzelfall«, sagte Wasily. »Wissenschaft – die Astronomie im Besonderen – und Religion sind seit Tausenden von Jahren miteinander verknüpft worden.«
    »Hmm«, meinte Fisch. »Du klingst, als würdest du aus Erfahrung sprechen.«
    »So ist es.«
    »Lust, darüber zu reden?«
    »Warum nicht.«
     

     
    Der Skalde machte sich bereit, eine leidenschaftliche Beschreibung seiner Sichtweise des Themas vom Stapel zu lassen, als unvermittelt ein gewaltiger Ruck durch das Schiff lief. Fisch wurde an die gegenüberliegende Wand geschleudert und die Hälfte der Bücherkästen stürzte um. Der Kopf fiel mitten in die Zeitungen und Bücher und schlug hart gegen das Feldbett.
    Fischmehl sprang auf die Füße. »Wasily? Ist alles in Ordnung mit dir?« Er hörte ein Schimpfen, das unter einem Stapel Atlanten hervordrang, und beeilte sich, den zerzausten und leicht angeschlagenen Skalden zu befreien.
    »Was zum Teufel war das?«, fragte Wasily aufgebracht. »Sind wir gegen einen Eisberg gestoßen?«
    Fisch schüttelte den Kopf. »Nicht in diesen Gewässern. Keine Ahnung.«
    Er wurde von einem weiteren, wenn auch kleineren Ruck unterbrochen, dann erhob sich auf Deck ein wilder Lärm. Einen Augenblick später hämmerte Kapitän Pickering laut an Fischmehls Tür.
    »Fisch! Verdammt, Junge, komm raus! So etwas wirst du in deinem ganzen Leben nicht noch einmal sehen – und wer weiß, wie lang das noch sein wird!«
    Fisch tauschte einen neugierigen Blick mit Wasily und ging dann zur Tür. »Bleib hier«, sagte er zu dem Skalden. »Ich gehe mal nachsehen, was los ist.«
    »Vielen Dank auch«, sagte Wasily mürrisch. »›Bleib hier‹, sagt der Bengel«, murmelte er vor sich hin, »als ob ich mir Beine wachsen lassen und davonflitzen würde. Keinen Respekt, sage ich.«
    Er musste nicht lange warten, bis der junge Kartograf wieder zur Tür hereinkam. »Komm mit«, sagte Fisch mit weit aufgerissenen Augen zu Wasily. »Das musst du dir ansehen.«
    »Würde das nicht Aufsehen erregen?«, fragte Wasily. »Weil ich ein Kopf bin und so?«
    »Ich lege dich in den Korb«, sagte Fischmehl, »aber vertrau mir, niemand wird dir Beachtung schenken.«
    Ohne die seltsame Bemerkung zu erklären, hob Fisch ihn von dem Karton und legte ihn in Delnas Butterbrotkorb, durch dessen Geflecht Wasily hinausblicken konnte.
    Sie traten auf das Deck hinaus und bekamen sofort eine Gänsehaut. Ein eisiger Wind wehte – den Wetterberichten nach unerwartet, ungewöhnlich für diese Region und für Ende August beinahe noch nie dagewesen. Graue Wolken, die im aufdämmernden Licht des Morgens langsam dahintrieben, bedeckten den Himmel, der in der vorangegangenen Nacht noch klar gewesen war. Doch keiner der Mannschaft beachtete den Himmel oder den Wind oder den Scheuerjungen des Schiffes, der in einem Korb einen Kopf mit sich herumschleppte. Alle blickten von der Reling hinaus auf das Wasser. Sie blickten auf den Atlantischen Ozean. Sie blickten auf – eine

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