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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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massive Eisschicht.
    Eis, das sich in alle Richtungen erstreckte, so weit das Licht zum Sehen reichte – das war der Grund für das heftige Rucken des Schiffes gewesen. Es hatte sich überall um sie herum gebildet und war sogar an den Seiten der Schiffswand nach oben gekrochen. Die La Lechera war eingeschlossen.

 
KAPITEL VIER
Die unsichtbaren Weberinnen
     
    Der unvermutete und überaus heftige Wintereinbruch hatte die Mannschaft der Milchkanne in eine Art Benommenheit gestürzt. Sie konnten wenig mehr tun, als das Schiff unter Dampf zu halten, sich warm anzuziehen und endlos über die möglichen Ursachen des Phänomens zu spekulieren. Es trug wenig zur Besserung ihrer Stimmung bei, als sie entdeckten, dass das Funkgerät nicht mehr funktionierte – und die anderen elektronischen oder mechanischen Geräte an Bord ebenso wenig.
    Zwei tröstliche Umstände gab es dennoch: Sie würden nicht so bald verhungern, da sie über einen umfangreichen Vorrat an Milch und Fleisch verfügten, der in ihrem Frachtraum umherlief. Außerdem war für Unterhaltung gesorgt, denn die Instrumente der Blues-Band waren allesamt akustisch.
    »Darauf kannst du einen lassen«, sagte Bev.
     

     
    Der kleinere Frachtraum wurde mit Ölfässern beheizt, die in den Wartungsnischen der Bordwand aufgestellt waren. Sie hallte von den harschen Riffs einer Harmonika wider, während die Mannschaft, die ihre Pflichten erledigt hatte, sich nach und nach hier versammelte. Sie kamen zusammen, um der Musik zu lauschen – aber auch um sich wechselseitig zu versichern, dass es einmal eine Welt jenseits des Eises gegeben hatte. Eine Welt, in der Musik und gute Freunde, Zwiebelringe in Bierteig und Großraumkinos, schnelle Autos und Zeitungskioske davon zeugten, dass es sechs Milliarden andere Menschen gab, die lebten und schliefen und Träume träumten, die nichts mit dem kollektiven Albtraum der La Lechera gemeinsam hatten.
    Hauptsächlich kamen sie jedoch, um der unheimlichen Stille zu entfliehen, die draußen herrschte – weithin war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Die Leere des Weltraums hatte sich auf die Erde gesenkt, und sie war kalt und dunkel und jagte der Besatzung bis auf den letzten Mann eine höllische Angst ein.
    Mit anderen Worten: der perfekte Ort, um den Blues zu spielen.
     

     
    Fischmehl und Wasily, der es sich in dem Korb bequem gemacht hatte, kamen herein, als Butch gerade ein Mundharmonikasolo beendet hatte und mit seiner kratzigen, wettergegerbten Stimme zu singen begann. Bev ging zu einem langsameren Rhythmus über und er trat mitten in den Lichtschein, der vom Schlagzeug zurückgeworfen wurde.
     
    Die Sonne geht unter und ich hab’s ja so satt,
    Die Sonne geht unter und ich hab’s ja so satt,
    Mein Mädchen ist gegangen, hat verlassen die Stadt:
    Mein Gestern, mein Morgen sind grau und sind leer,
    Mein Gestern, mein Morgen sind grau und sind leer,
    Drum pack’ ich meine Sachen, denn hier hält mich nichts mehr.
     
    »Also«, murrte Wasily. »Das hat mich wirklich aufgeheitert. Jetzt kannst du gleich ein Loch ins Eis hacken und mich hineinwerfen.«
    »Psst«, flüsterte Fisch. »Der Kapitän kommt.«
    »Ich weiß die Unterhaltung durchaus zu schätzen«, donnerte Pickering von der Tür aus los, »aber wir müssen größere Räder ins Rollen bringen. In fünf Minuten findet im Maschinenraum eine Besprechung statt. Und du, Harmonikaspieler« - er wies mit einem dicken Finger auf Butch – »spielst gar nicht mal so übel. Verdienst du dir damit deinen Lebensunterhalt?«
    Butch schüttelte den Kopf. »Nein. Ich mache das zum Spaß, wenn ich mir nicht gerade mit einem spitzen Stock ein Auge aussteche.«
    »Klugscheißer. Was machst du dann?«
    »Ich arbeite seit dreißig Jahren im Einzelhandel – Management.«
    »Verdammt«, sagte der Kapitän. »Du bist vielleicht der Einzige an Bord, der von der Traufe zurück in den Regen geraten ist. Schlau bist du ja – du kommst auch mit.«
    »Hey«, schaltete sich George ein. »Ich bin der Manager - macht es Ihnen etwas aus, wenn ich auch komme?«
    »Kann nicht schaden«, sagte Pickering.
    »Mann, das ist klasse«, sagte George strahlend. »Vielen Dank.«
     

     
    »Ich frage mich«, sagte Kapitän Pickering, der wie ein großes Tier gebeugt dastand und nachdenklich die kleine Gruppe im Maschinenraum betrachtete, »ob ein militärischer Angriff Schuld daran ist. Schließlich hört man die ganze Zeit vom ›Atomaren Winter‹ und dergleichen.«
    »Nein«, sagte George. »Eine

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