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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Wasily zu, während sie den moderigen, feucht riechenden Korridor entlang wanderten, »das war ziemlich beeindruckend, wie du ihn überredet hast, mit ›König Smotay dies‹ und ›König Smotay das‹.«
    »Das war gar nichts«, widersprach Wasily. »Es ging lediglich darum, sein Selbstwertgefühl anzusprechen und ihm dabei das Gefühl zu geben, er hätte die Situation unter Kontrolle.«
    »Das ist erstaunlich«, sagte Fischmehl. »Von wem hast du das gelernt – Sigmund Freud?«
    »Nein«, sagte Wasily. »Ich habe mir Wiederholungen von Der Polizeichef angesehen.«

 
KAPITEL SIEBEN
Der hellenische Teutone
     
    Die unterirdischen Höhlen unter den Kurganen sahen gänzlich anders aus, als die Gefährten erwartet hatten. Zwar waren sie nicht so hoch, dass sie darin hätten aufrecht stehen können. Für Löcher im Boden waren sie allerdings recht beachtlich.
    Die Wände waren leicht feucht und glatt, ein hoher Lehmgehalt gab ihnen Festigkeit und sorgte für ein gewisses Maß an Stabilität. Über ihnen wucherten die langen Wurzeln des Grases wild aus der Decke.
    Während ihrer Wanderung tauchte hin und wieder ein Durchgang auf – der zu anderen Kurganen führte, wie Wasily vermutete. Diese Öffnungen sorgten in größeren Abständen für ein wenig Licht; sonst wanderten sie in vollkommener Dunkelheit.
    Der Gang schlängelte sich einige Kilometer weit dahin, führte im Wesentlichen aber in östliche Richtung. Ihr merkwürdiger Führer murmelte hin und wieder etwas vor sich hin, ohne jedoch jemanden anzusprechen. Ham folgte seinem Beispiel. Wasily war im Laufe seines Lebens an vielen fantastischen und beeindruckenden Orten gewesen – ein Spaziergang unter der Erdoberfläche konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. Und Fischmehl hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ungewöhnlichen Erfahrungen hinterher zu jagen. Hammurabi waren die Dinge allerdings über den Kopf gewachsen, in mehr als einer Hinsicht.
    Nachdem sie beinahe zwei Stunden gelaufen waren, hörten die Brüder und der Skalde ein ungewöhnliches auf und abschwellendes Geräusch, das durch die Wände drang. Als sie ihren Führer danach fragten, zuckte er lediglich mit den Schultern. »Ihr seid seit einer ziemlich langen Zeit die ersten Besucher. Natürlich möchten die Leute gern einen Blick auf diejenigen werfen, die uns besuchen – ohne zuerst gestorben zu sein, meine ich. Die Geräusche, die ihr hört, stammen von den Leuten, die sich versammeln, um eure Audienz bei… Ihm mit anzusehen.«
    »Leute?«, fragte Ham. »Du meinst die Toten.«
    »Hmm«, schnaubte König Smotay verächtlich, »du sagst ›die Toten‹, als wären wir asoziale Außenseiter, du unhöflicher Elefant. Wie sehr unterscheidet ihr euch schon von uns, wenn man es genau nimmt?«
    »Ganz einfach: Wir sind lebendig«, gab Ham zurück.
    »Und das bedeutet?«
    »Nun, äh«, stotterte Ham. »Ich bin nicht sicher, was du damit meinst.«
    »Natürlich nicht«, sagte Smotay. »Aber würdest du mir bitte zugestehen, dass ich, der ich schon einige tausend Jahre länger auf der Welt bin als du, vielleicht das eine oder andere zu einer solchen Diskussion beizutragen habe? Du und ich, wir gehen spazieren und unterhalten uns, denken und fühlen. Du bist von der Großspurigkeit durchdrungen, die allen Lebewesen eigen ist. Doch ich, der ich tot bin, habe etwas, das mein Dasein attraktiver macht als das deine, und ich möchte sogar behaupten besser.«
    »Und was wäre das?«, fragte Fisch.
    Smotay drehte den Kopf und nickte in Richtung des Skalden. »Frag ihn – er weiß es.«
    Die Brüder sahen Wasily fragend an. Er wich ihren Blicken aus, bevor er schließlich zu ihnen aufsah und antwortete. »Keine Angst«, sagte er ausdruckslos. »Die Toten haben keine Angst.«
     

     
    Der Korridor wurde allmählich breiter, und während sie weitergingen wurde er immer heller. Das Licht schien aus den Wänden zu strömen. Einige Augenblicke später verschwanden Boden und Decke, wichen nach oben und unten zurück und enthüllten eine riesige Höhle. Sie standen jetzt auf einer Art Balustrade. Ringsherum an den Wänden der Halle befanden sich Vorsprünge, die wie moosbewachsene Balkone aussahen. Darauf drängten sich die Würdenträger der Unterwelt, die gekommen waren, um sich das Spektakel anzusehen.
    Hammurabi fluchte leise und griff sich an die Stirn. Wasily ließ seinen Blick über die Menschenmenge schweifen, die ihrerseits erwartungsvoll zu ihnen herüberblickte. Er bemerkte das Rascheln von Stoff auf

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