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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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gähnte.
    »Wenn du sie nicht gekauft hast«, sagte ich, »dann mußt du sie doch geklaut haben.«
    Sie sagte, »M-m«, und behielt den Mund mit einer Art spöttischem Lächeln geschürzt.
    »Was dann?« Ich stand genau hinter ihr. Sie schaute im Spiegel sich selbst an, nicht mich.
    »Kannst du dir nichts anderes vorstellen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es gibt nichts anderes, außer du hast sie selbst geschustert.«
    Julie lachte. »Hat dir noch nie jemand ein Geschenk gemacht?«
    »Wer hat sie dir geschenkt?«
    »Ein freundliches Wesen.«
    »Was für eines?«
    »Äh äh, da müßte ich wen verraten.«
    »Ein Typ.«
    Julie stand auf, drehte sich um, um mich anzusehen, und preßte die Lippen zusammen wie zu einer kleinen Beere. »Natürlich ist er ein Typ«, sagte sie schließlich. Ich hatte die verschwommene Vorstellung, als Julies Bruder hätte ich ein Recht, sie über ihren Freund auszufragen. Aber nichts an Julie bestärkte diesen Gedanken, und ich fühlte mehr Niedergeschlagenheit als Neugier. Sie nahm eine Nagelschere vom Nachttisch und schnitt das Band nahe am Knoten durch. Als sie es abzog und zu Boden fallen ließ, sagte sie, »So«, und küßte mich leicht auf den Mund.
      
      
7
    Drei Wochen nach Mutters Tod begann ich das Buch, das Sue mir zum Geburtstag geschenkt hatte, noch einmal zu lesen. Ich war überrascht, wieviel mir entgangen war. Mir war nie aufgefallen, wie genau es Commander Hunt mit der Sauberkeit und Ordnung im Schiff, nahm, besonders auf den wirklich langen Weltraumfahrten. Jeden Tag, den alten Erdentag natürlich, kletterte er eine Leiter aus rostfreiem Stahl hinunter und inspizierte die Mannschaftsmesse. Kippen, Plastikbesteck, alte Zeitschriften, Tassen und verschütteter Kaffee schwebten unordentlich durch den Raum. »Jetzt, wo uns keine Schwerkraft mehr die Sachen an ihrem Platz hält«, sagte Commander Hunt zu den Computertechnikern, die in der Raumschiffahrt noch Neulinge waren, »müssen wir uns besonders anstrengen, daß Ordnung herrscht.« Und in den langen Stunden, wo keine dringenden Entscheidungen zu fällen waren, verbrachte Commander Hunt seine Zeit damit, »wieder und wieder die Meisterwerke der Weltliteratur zu lesen und seine Gedanken dazu in einem dicken Tagebuch mit einem Stahleinband niederzuschreiben, während Cosmo, sein getreuer Wachhund, ihm zu Füßen vor sich hindöste.« Commander Hunts Raumschiff durcheilte das All mit einem Hundertstel Lichtgeschwindigkeit, um nach der Energiequelle zu suchen, die die Sporen in ein Ungeheuer verwandelt hatte. Ich überlegte, ob er sich um die Ordnung in der Messe oder die Weltliteratur auch dann gekümmert hätte, wenn das Schiff völlig bewegungslos im Weltraum festgesessen hätte.
    Sobald ich mit dem Buch durch war, trug ich es hinunter, um es Julie oder Sue zu geben. Ich wollte, daß es jemand anderer auch las. Ich fand Julie allein im Wohnzimmer in einem Sessel sitzend, die Füße unter sich weggepackt. Sie rauchte eine Zigarette, und als ich ins Zimmer kam, beugte sie den Kopf zurück und blies eine Rauchsäule gegen die Decke. Ich sagte, »Ich wußte nicht, daß du rauchst.« Sie nahm noch einen Zug und nickte knapp. Ich ging mit dem Buch auf sie zu. »Das solltest du lesen«, sagte ich und gab es ihr in die Hand.
    Julie starrte eine Zeitlang den Umschlag an, und ich stand hinter ihrem Stuhl und betrachtete ihn auch. Das Monster ähnelte einem Oktopus und griff gerade ein Raumschiff an. In der Ferne raste das Schiff von Commander Hunt zur Rettung herbei. Ich hatte mir den Umschlag noch nicht genau angesehen, und jetzt schien er mir lächerlich. Ich schämte mich dafür, als hätte ich ihn selbst gemalt. Julie reichte mir das Buch über die Schulter zurück. Sie hielt es an einer Ecke fest.
    »Der Umschlag ist nicht besonders«, sagte ich, »aber es stehen ein paar wirklich gute Sachen drin.« Julie schüttelte den Kopf und stieß erneut Rauch aus, diesmal quer durchs Zimmer.
    »Nicht meine Art von Buch«, sagte sie. Ich legte das Buch umgedreht auf den Tisch und ging um den Stuhl, bis ich vor ihr stand.
    »Was soll das heißen?« sagte ich. »Woher weißt du, was für eine Art von Buch das ist?«
    Julie zuckte die Achseln. »Mir ist sowieso nicht nach Lesen.«
    »Dir würde schon danach werden, wenn du mit dem hier anfingst.« Ich hob das Buch wieder auf und schaute es an. Ich wußte nicht, warum mir so viel daran lag, daß es jemand anderer las. Auf einmal beugte sich Julie vor und nahm mir das Buch aus der

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