Der Zementgarten
Regelmäßigkeit eines Weberschiffchens. Und doch kam sie im ganzen nur langsam voran, und ich wurde sehr ungeduldig. Ich wollte den Stoff, die Steck- und Nähnadeln alle mit einer Bewegung auf den Fußboden fegen. Wir mußten ja warten bis sie fertig war, bevor wir sprechen konnten, bevor etwas anderes geschehen konnte. Endlich riß sie mit einem scharfen Ruck aus den Handgelenken den Faden ab und stand auf. Julie ließ meine Hand los und stellte sich hinter Tom. Er hob die Hände und sie zog ihm das Kleid hinauf über den Kopf. Darunter trug er sein eigenes weißes Hemd. Sue half Tom in den blauen Faltenrock und Julie knotete ihm eine von Sues Schulkrawatten um den Hals. Ich sah zu und befühlte mein blaues Band. Wenn ich es abnahm, wurde ich wieder zum Zuschauer und mußte Stellung beziehen zu dem, was vorging. Tom zog weiße Socken an und Sue holte ihre Barettmütze. Die Mädchen lachten und schwatzten bei diesen Vorbereitungen. Sue erzählte Julie die Geschichte von einer Schulfreundin, die sich das Haar sehr kurz geschnitten hatte.
Sie kam in Hosen zur Schule, ging in den Umkleideraum für die Jungen und sah sie alle vor den Pißbecken stehen. Beim Anblick der ganzen langen Reihe war sie laut herausgeplatzt und hatte sich verraten.
»Ist er nicht hübsch?« sagte Julie. Während wir ihn betrachteten, stand Tom vollkommen still mit den Händen auf dem Rücken und gesenktem Blick. Wenn ihm die Verkleidung Spaß machte, ließ er es sich nicht anmerken. Er ging in die Diele hinaus, um sich in dem hohen Spiegel zu bewundern. Ich sah ihm durch die Tür zu. Er stand seitlich zu seinem Spiegelbild und starrte sich über die Schulter an.
Als Tom aus dem Zimmer war, nahm Julie meine zwei Hände in die ihren und sagte, »Was machen wir jetzt mit Miesepeter?« Julies Augen wanderten über mein Gesicht. »Du wirst kein so hübsches Mädchen wie Tom abgeben, mit deinen schrecklichen Pickeln.« Sue, die jetzt neben mir stand, zog an einer Strähne in meinem Haar und sagte, »Und mit dem langen fettigen Haar, das er nie wäscht.«
»Und mit den gelben Zähnen«, sagte Julie.
»Und mit den Schweißfüßen«, sagte Sue. Julie drehte meine Hände mit den Flächen nach unten.
»Und mit den dreckigen Fingernägeln.« Die Mädchen stierten auf meine Fingernägel und gaben übertriebene Laute des Ekels von sich. Tom schaute von der Tür aus zu. Mir gefiel das ganz gut, so dazustehen und untersucht zu werden.
»Schau dir den an«, sagte Sue, und ich spürte ihre Berührung am Zeigefinger, »er ist grün und rot unter dem Rand.« Sie lachten, und schienen überaus entzückt von allem, was sie entdeckten.
»Was ist das?« sagte ich und schaute zur anderen Seite des Zimmers. Unter einem Stuhl fast verborgen lag ein langer Karton mit halbgeöffnetem Deckel. Weißes Seidenpapier quoll aus einer Ecke.
»Ah!« rief Sue, »das gehört Julie.« Ich ging durchs Zimmer und zog die Schachtel unter dem Stuhl hervor. Eingebettet in weißes und orangenes Seidenpapier lag darin ein Paar halbhoher Stiefel. Sie waren tiefbraun und verströmten einen teuren Duft von Leder und Parfüm.
Mit dem Rücken zu mir faltete Julie langsam und sorgfältig das orangene Kleid zusammen, das Tom vorher getragen hatte. Ich hielt einen Stiefel hoch.
»Wo hast du die her?«
»Aus einem Geschäft«, sagte Julie, ohne sich umzudrehen.
»Wieviel?«
»Nicht viel.«
Sue war ganz aufgeregt. »Julie!« sagte sie laut flüsternd. »Die haben achtunddreißig Pfund gekostet.«
Ich sagte, »Achtunddreißig Pfund hast du dafür gezahlt?«
Julie schüttelte den Kopf und klemmte sich das orangene Kleid unter den Arm. Mir fiel das lächerliche Band um meinen Hals ein, und ich wollte es abreißen, aber es gab nicht nach, die Schleife wurde zu einem Knoten. Sue fing an zu lachen. Julie ging zum Zimmer hinaus.
»Du hast sie geklaut«, sagte ich, und sie schüttelte wieder den Kopf. Immer noch mit dem Stiefel in der Hand ging ich ihr auf die Treppe nach. Als wir in ihrem Zimmer waren, sagte ich, »Du hast Sue und mir jedem zwei Pfund gegeben und dir dann Stiefel für achtunddreißig Pfund gekauft.« Julie setzte sich vor den Spiegel, den sie an der Wand befestigt hatte und fuhr sich mit einer Bürste durchs Haar.
»Falsch«, sagte sie mit glockenheller Stimme, als wären wir bei einem Ratespiel. Ich warf den Stiefel aufs Bett und nahm beide Hände, um das Band um meinen Hals zu zerreißen. Der Knoten wurde kleiner und hart wie Stein. Julie streckte die Arme aus und
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