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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Butterbrotpapier grade vor der Nase. Julie griff sich einen Haarschopf von mir und zog mir den Kopf nach hinten. Sie tauschte die Pistole gegen ein Messer aus, hielt es mir an die Kehle und sagte, »Noch einmal Ärger mit dir, und du hast es da drin stecken.« Dann kniete sie sich hin und drückte mir die Faust in die Leiste. »Oder hier«, sagte sie dramatisch, und wir lachten alle zwei. Auf einmal war Julies Spiel vorüber. Wir kehrten den Müll zusammen, stopften ihn in Pappschachteln und trugen sie in die Mülltonnen. Sue hörte uns und kam uns helfen. Wir räumten den Ausguß aus, wuschen die Wände ab und schrubbten den Boden. Sue und ich spülten ab, und Julie kaufte solang etwas für ein warmes Essen ein. Als sie zurückkam, waren wir grade fertig und fingen an, Gemüse für einen großen Eintopf zu schneiden. Als er vor sich hinköchelte, räumten Julie und Sue das Wohnzimmer auf, und ich ging nach draußen, um die Fenster zu putzen. Durch eine Wasserschicht sah ich verschwommen meine Schwestern die ganzen Möbel in die Zimmermitte rücken, und zum erstenmal seit Wochen war ich glücklich. Ich fühlte mich sicher, als wäre ich bei einer mächtigen Geheimarmee. Wir arbeiteten über vier Stunden lang, nahmen uns eins nach dem anderen vor, und ich war mir meines Vorhandenseins kaum bewußt.
    Ich trug ein paar Fußmatten und einen kleinen Teppich in den Garten und klopfte mit einem Stock den Staub heraus. Als ich damit schon ziemlich weit war, hörte ich ein Geräusch hinter mir und drehte mich um. Es war Tom mit seinem Freund aus dem Wohnblock. Tom trug Sues Schuluniform, und seine Knie waren vom Hinfallen blutig. Tom spielte jetzt ziemlich oft in Sues Rock auf der Straße. Keins der Kinder zog ihn dafür auf, wie ich erwartet hätte. Sie schienen es nicht einmal zu bemerken. Ich konnte das nicht begreifen. In Toms Alter, oder auch sonstwann, hätte ich mich nicht einmal tot in den Röcken meiner Schwestern ertappen lassen. Er hielt seinen Freund an der Hand, und ich arbeitete weiter. Toms Freund trug um den Hals einen Schal, dessen Muster mir bekannt vorkam. Sie unterhielten sich kurz über etwas, das ich bei dem Lärm, den ich machte, nicht verstehen konnte. Dann sagte Tom laut, »Für was machst du das?« Ich sagte es ihm und sagte, »Warum hast du einen Rock an?« Tom antwortete nicht. Ich schlug noch ein paarmal auf den Teppich ein, hörte wieder auf, und sagte zu Toms Freund, »Warum hat Tom einen Rock an?«
    »Es ist ein Spiel von uns«, sagte er, »Tom ist Julie.«
    Ich sagte, »Und wer bist du?«
    Der Junge antwortete nicht. Ich hob den Stock, und als ich ihn niedersausen ließ, sagte Tom, »Er ist du.«
    »Hast du gesagt, ich?« Sie nickten beide. Ich warf den Stock weg und zog die Fußmatten von der Wäscheleine. Ich sagte, »Und was macht ihr in eurem Spiel?«
    Toms Freund zuckte mit den Achseln, »Nichts weiter.«
    »Streitet ihr miteinander?« Ich wollte Tom in meine Frage mit einbeziehen, aber er schaute woanders hin. Der andere Junge schüttelte den Kopf. Ich legte die Fußmatten und den Teppich übereinander. »Seid ihr befreundet in eurem Spiel? Haltet ihr Händchen?« Sie ließen ihre Hände los und lachten.
    Tom kam hinter mir ins Haus, doch sein Freund blieb vor der Küchentür stehen. Er rief Tom zu, »Ich geh heim«, und ließ es wie eine Frage klingen. Tom nickte, ohne sich umzudrehen. Im
    Wohnzimmer waren Teller für vier auf dem Tisch, und auf jeder Seite lagen Messer und Gabel. In der Mitte des Tisches standen eine Flasche Tomatensoße und ein Eierbecher voll Salz. Jeder Teller hatte seinen Stuhl. Als wären wir richtige Leute, dachte ich. Tom ging droben Julie und Sue suchen und ich lief zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her wie Commander Hunt bei der Messeinspektion. Zweimal bückte ich mich und hob Fusseln vom Teppich auf. An einem angeschraubten Haken an der Kellertür hing ein Einkaufsnetz aus hellorangener Schnur. Unten im Netz waren zwei Äpfel und zwei Apfelsinen. Ich stieß das Netz mit dem Finger an und ließ es wie ein Pendel schaukeln. Es bewegte sich nach einer Richtung leichter als nach der andern, und erst nach einiger Zeit fand ich heraus, daß das an der Form der Henkel lag. Ohne nachzudenken zog ich die Kellertür auf, drehte das Licht an und rannte die Treppe hinunter.
    Die Schaufel lag mitten in einem großen, runden eingetrockneten Zementfleck. Sie erinnerte mich an den Stundenzeiger einer großen kaputten Uhr. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, wer

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