Der Zementgarten
Melodie hinein.
Tom kam von oben herunter und hielt in den Armen etwas, was wie eine große Katze aussah. Es war seine Perücke. Er trug sie zu Sue und bat, sie ihm aufzusetzen. Sie hielt ihn von sich weg und deutete auf seine Knie und Hände. Sie wollte ihm die Perücke erst geben, wenn er sich gewaschen hatte. Als Tom im Bad war, sagte ich, »Wie ist er denn?«
»Er hat einen Wagen, einen neuen, schau«, und sie zeigte auf das Fenster. Aber ich schaute mich nicht um. Als Tom zu Sue zurückkam sagte sie, »Wenn du beim Tee ein Mädchen sein willst, warum ziehst du nicht dein orangenes Kleid an?« Er schüttelte den Kopf und Sue zog ihm die Perücke über. Er rannte in die Diele, um in den Spiegel zu sehen, setzte sich dann mir gegenüber hin und bohrte in der Nase. Sue las in einem Buch und ich fing, etwas leiser diesmal, wieder zu pfeifen an. Tom holte sich mit der Spitze des Zeigefingers etwas aus der Nase, sah es an und wischte es an einem Sitzkissen ab. Ich tat das manchmal auch, aber nur wenn ich allein war, gewöhnlich morgens im Bett. Es sieht nicht so schlimm aus, wenn ein kleines Mädchen es macht, dachte ich, und ging zum Fenster. Es war ein Sportwagen, altmodisch, mit einem Trittbrett und einem Lederverdeck, das zurückgeklappt war. Er war hellrot mit einem dünnen schwarzen Streifen über die ganze Länge.
»Du solltest hinausgehen und dir ihn ansehen«, sagte Sue, »er ist phantastisch.«
»Mir was ansehen?« sagte ich. Die Räder hatten Silberspeichen und auch die Auspuffrohre waren silbern. Die Motorhaube hatte seitlich lange, schräge Schlitze im Blech. »Damit die Luft hineinkann«, hörte ich mich einem Beifahrer erklären, und zog das Gefährt durch eine enge Serpentine in den Alpen, »oder die Hitze hinaus.« Als ich zu meinem Stuhl zurückging, war Sue verschwunden.
Ich starrte Tom an. In dem großen Sessel wirkte er winzig, denn seine Füße ragten nur eben über die Sitzkante hinaus, und sein Kopf reichte nur die halbe Rückenlehne hinauf. Er starrte einige Augenblicke zurück, dann sah er weg und verschränkte die Arme. Seine Beine spreizten sich aus dem Rock. Ich sagte, »Wie ist das, wenn man ein Mädchen ist?« Tom schüttelte den Kopf und wechselte die Stellung. »Besser als ein Junge?«
»Weiß nich.«
»Macht es dich scharf?« Tom lachte plötzlich. Er wußte nicht, was ich meinte, aber er verstand, daß das Wort ein Signal zum Lachen war. »Ja oder nein?« Er grinste mich an.
»Ich weiß nich.« Ich beugte mich vor und krümmte den Finger, er solle näherkommen.
»Wenn du deine Perücke und den Rock anziehst und dann zum Spiegel gehst und ein kleines Mädchen siehst, kriegst du dann ein schönes Gefühl in deinem Piepmatz, wird er größer?« Toms Grinsen verflog. Er kletterte aus dem Sessel und machte sich aus dem Zimmer.
Ich blieb ganz still sitzen, der Geruch des Eintopfs drang mir ins Bewußtsein. Die Zimmerdecke knarrte. Ich setzte mich auf dem Sessel in Positur. Ich schlug die Beine bei den Knöcheln übereinander und faltete die Hände unter dem Kinn. Leichte, schnelle Schritte kamen die Treppe herunter und Tom rannte herein. »Sie kommen! Er kommt!« sagte er laut. Ich sagte, »Wer?« und legte die Hände hinter den Kopf.
Julie sagte, »Das ist Derek. Das ist Jack.« Ich schüttelte die Hand ohne aufzustehen, aber nahm die Beine auseinander und stellte die Füße fest auf den Boden.
Keiner von uns beiden sprach, während wir einander die Hand gaben. Danach räusperte sich Derek und sah Julie an. Sie stand direkt hinter Tom und drückte ihm die Hände auf die Schultern. Sie sagte, »Das ist Tom«, auf eine Art, aus der klar hervorging, daß sie Derek schon von ihm erzählt hatte. Derek trat hinter meinen Sessel, wo ich ihn nicht sehen konnte, und sagte ruhig, »Ach, ein Tommy kätzchen.« Sue lachte halbherzig, und ich stand auf. Julie ging in die Küche, um den
Eintopf zu holen, und rief Tom zu, er solle ihr helfen. Wir drei standen in der Zimmermitte. Wir waren einander ziemlich nah und schienen leicht zu schwanken. Sue machte ihre Stimme absichtlich atemlos und dämlich.
»Wir finden deinen Wagen wirklich toll.« Derek nickte. Er war sehr groß und wie für eine Hochzeit angezogen -hellgrauer Anzug, Hemd und Krawatte in beige, Manschettenknöpfe und eine Weste mit einer kleinen Silberkette. Ich sagte, »Ich finde ihn nicht so besonders.« Er drehte sich zu mir um und lächelte schwach. Er hatte einen dichten schwarzen Schnurrbart, der so makellos aussah, daß er
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