Der zerbrochene Himmel
zur ersten Reihe, genau vor die Blaskapelle, die gerade Faccetta nera spielte, Schwarzes Gesichtchen. Danach spielten sie Sole che sorgi, Sonne die aufgeht, und die Faschistenhymne Giovinezza, Jugend.
Neben Mamà saß Padre Burruano. Als Giovinezza zu Ende war, tauchte Papà auf der Tribüne auf, hinter ihm standen drei weitere Personen in Uniform. Einer von ihnen war Professore Gorgerino.
Papà salutierte mit dem römischen Gruß und sagte dann: »Kameraden, ich grüße den Duce!«
»Wir auch!« antwortete die Menge.
Und Papà fing an zu reden. Er hatte eine schöne Stimme, deutlich und kräftig. Sicher, mit Mussolini konnte er sich nicht messen, aber auch seine Stimme überzeugte und spornte an, die Stimme eines echten Führers, auch er ein Spartaner. Warum redete er so nicht zu Hause? Würde er immer so zu ihm reden, dessen war sich Michilino sicher, würde er ihm immer gehorchen. Disziplin und Hierarchie, wie Professore Gorgerino immer wieder sagte. Papà erklärte den Menschen, daß endlich Rache für unsere Toten von Adua genommen würde (aber wann waren die Ereignisse von Adua eigentlich geschehen? Michilino wußte es nicht), daß in den eroberten Gebieten alle Arbeit finden würden und daß, wenn die Feinde Italiens, in erster Linie die Engländer, Wirtschaftssanktionen beschließen würden, das italienische Volk darauf zu antworten wisse und sich von niemandem den Fuß auf den Kopf stellen lasse. Papàs Rede ging in einem Beifallsturm und Stimmenschwall unter. Genau in diesem Augenblick erinnerte Michilino sich wieder an Mussolinis Stimme, und er wurde, nachdem ihn noch einmal eine Hitzewallung erfaßt hatte, auf der Stelle steif und angespannt. Er spürte, daß das Vögelchen zwischen seinen Schenkeln kein Vögelchen mehr war, sondern eine Art mächtig fordernder Sperber. Mit ihm geschah genau das gleiche, das mit Gorgerino geschehen war. Er senkte den Kopf und schaute hin. Die Hose war von der Kraft des Sperberkopfes, der gegen den Stoff preßte, ganz verformt.
Er war besorgt, er wollte nicht, daß die Leute ihn so sahen. Also steckte er die linke Hand in die Hosentasche, packte den Vogel und drückte ihn runter. Doch sobald er ihn losließ, stand er wieder aufrecht. Da sagte er sich, das beste wäre, wenn er ihn die ganze Zeit mit der Hand nach unten drückte. Als Papà von der Tribüne hinunterstieg, wurde er von einer Menge Menschen begrüßt, jeder wollte ihm gratulieren. Padre Burruano sagte zu Mamà, die ganz aufgeregt und ausgelassen war: »Können wir in die Kirche gehen?«
»Wozu?« fragte Mamà kalt.
»Bringen Sie Michilino mit. Wir wollen über ihn reden. Ich glaube, er ist jetzt soweit für die erste heilige Kommunion.«
»Einverstanden«, sagte Mamà und blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Ich kann allenfalls zehn Minuten bleiben.«
»Ich erwarte Sie«, sagte Padre Burruano.
Kaum hatte sich der geistliche Herr ein Stück entfernt, wurde Mamà von vier oder fünf Frauen umringt, die sie zu umarmen und zu küssen begannen.
»Clementina!« rief Mamà zu einer Frau, die klein und dick und ganz in Schwarz gekleidet war. »Endlich gehst du wieder aus dem Haus! Wann kommst du mich besuchen?«
»Ganz sicher an einem der nächsten Tage. Die vorgeschriebene Zeit meiner Trauer ist jetzt vorbei«, sagte die dicke Frau, für die Michilino gleich Zuneigung empfand.
Auf dem Weg zur Kirche bemerkte Mamà, daß Michilino sich sonderbar bewegte.
»Warum gehst du so merkwürdig?«
»Weil mein Vögelchen so angespannt ist.«
»Denk an Jesus, und du wirst sehen, dann geht's vorbei. Das ist keine Krankheit, das kommt einfach vor. Nimm das nicht so wichtig.«
»Wer ist Signora Clementina?«
»Erinnerst du dich nicht an sie? Manchmal ist sie mich besuchen gekommen. Die Arme ist die Witwe des Politischen Sekretärs Sucato, der am Herzinfarkt gestorben ist. Und an seiner Stelle hat man Papà ernannt.«
Bis zur Kirche war es nicht mehr weit, als Mamà anfing zu lachen und sich ein Taschentuch vor den Mund hielt.
»Hihihi! Hihihi!«
»Warum lachst du, Mamà?«
»Ach, das ist nur eine nervöse Reaktion.«
»Und warum bist du nervös?«
Mamà wartete einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Ich bin eigentlich gar nicht nervös, ich freue mich nur so für Papà.«
Das Portal war verschlossen, und es wurde auch schon dunkel. Sie nahmen die Seitenstraße, wo sich die Tür zur Sakristei befand, die ebenfalls verschlossen war. Mamà zog an
Weitere Kostenlose Bücher