Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
begleitete Mamà Michilino zur
    Beichte. In der Kirche befanden sich an die zehn Kinder mit ihren Müttern. Padre Jacolino nahm die Beichte ab, der war siebzig Jahre alt und taub. Wollte man im Ort die Sünden einer Frau erfahren, mußte man sich nur in der Nähe des Beichtstuhls aufhalten, aus dem Padre Jacolino immer wieder sagte »Sprich lauter, ich versteh ja nichts« und damit die arme Weibsperson zwang, ihr Sündenregister so laut vorzutragen, daß alle es mit anhören konnten. Mamà hingegen beichtete immer bei Padre Burruano. Als die Reihe an Michilino war, kniete er sich hin und machte das Kreuzeszeichen.
    »Bist du ungehorsam gewesen?«
    »Nein.«
    »Hast du den Eltern ungehörig geantwortet?«
    »Nein.«
    »Hast du gestohlen?«
    »Nein.«
    »Hast du gelogen?«
    »Nein.«
    »Hast du schlimme Wörter gebraucht?«
    »Nein.«
    »Hast du unkeusche Dinge getan?«
    »Nein.«
      Was immer auch unkeusche Dinge waren, er hatte sie nie getan. Ihm war danach, stolz hinzuzufügen: »Ich tue keine unkeuschen Dinge. Ich wandle auf spartanischen Spuren.«
      Padre Jacolino fuhr zusammen und platzte heraus: »Was, du gehst zu satanischen Huren?«
    »Nein.«
      Er wußte zwar, daß Hure ein schlimmes Wort war. Aber er wußte ja nicht einmal, wie diese Huren beschaffen waren.
    »Fünf Avemarias und fünf Vaterunser. Weiter, der nächste!«
      Am folgenden Tag ging er ganz in Weiß gekleidet aus dem Haus, und er sah aus wie eine weiße Friedenstaube. Die Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits waren da, die Tanten und Onkels, die Cousinen und Cousins. Cousine Marietta umarmte ihn ganz fest und küßte ihn, doch sie kam Michilino ein ganz kleines bißchen melancholisch vor.
      Die heilige Messe feierte Padre Burruano. Als der Augenblick der ersten heiligen Kommunion kam, knieten alle Kinder der Reihe nach nieder. Michilino befand sich in der Mitte. Der Pfarrer begann mit der Austeilung der Hostien. In diesem Augenblick wurde Michilino von einem Gedanken kalt erwischt. Wenn es stimmte, was Padre Burruano im Unterricht über die Dinge mit Gott erklärt hatte, würde er gleich den Leib und das Blut Jesu in Gestalt einer geweihten Hostie hinunterschlucken. Aber wenn er den Leib und das Blut eines Menschen verspeiste, war das nicht Kannibalismus wie bei den Bissiniern? Niemals, zum Beispiel, hatte Gorgerino ihm gesagt, daß die Spartaner Menschen gegessen hätten. Und war das hier dann nicht Todsünde und mehr? Wieso hatte er nur nicht vorher daran gedacht, verflixt?
    »Was ist?«
      Das war Padre Burruanos Stimme, leicht gereizt, weil Michilino seinen Mund verschlossen hielt. Auch die beiden weiß gekleideten Kameraden neben ihm sahen ihn an. Was tun?
      »Mach den Mund auf!« befahl der Pfarrer streng, aber mit leiser Stimme.
      Michilino gehorchte, und Padre Burruano steckte ihm die Hostie tief in den Mund, aus Angst, Michilino könnte sie noch einmal herausnehmen.
      Michilino kehrte auf seinen Platz zurück, kniete sich hin und legte den Kopf in die Hände.
    Es war, als würde er beten, in Wirklichkeit aber überlegte er verzweifelt. Die Hostie lag noch zwischen Zunge und Gaumen und war noch nicht hinuntergeschluckt. Und je länger er nachdachte, desto überzeugter war er, daß diese Sache nicht richtig war, es gab da einen Fehler, die Hostie zu verspeisen war Gotteslästerung. Doch ganz plötzlich, ohne es überhaupt zu merken, war er drauf und dran, sie zu verschlucken. Das tat er auch, und die Hostie rutschte in den Magen. Daraufhin bekam er solche Angst, daß alles rings um ihn herum plötzlich schwarz wurde. Er verlor das Bewußtsein.
      In der Sakristei kam er wieder zu sich. Mamà, die große Angst hatte, gab ihm ein Glas Wasser zu trinken.
      »Ist nichts weiter, war nur die Aufregung«, sagte Papà zu den Großeltern, den Tanten und Onkels und zu den Cousinen und Cousins.
      Padre Jacolino kam und blickte den Jungen lange an: »Dieses Kind ist ein Engel«, meinte er.
      »Ich will zum Kruzifix gehen und vor ihm beten«, sagte Michilino.
      Er mußte Jesus unbedingt um Vergebung bitten, weil er ihn gegessen hatte, ohne es zu wollen.
      »Später, später«, entgegnete Padre Jacolino. »An Zeit wird es dir dafür nicht fehlen.«
    Die Feier im Café Castiglione war fabelhaft.

Drei

    Eines Vormittags, als Mamà weggegangen war und Michilino, am Eßzimmertisch sitzend, eine Rechenaufgabe machte, die Gorgerino ihm aufgegeben hatte, klopfte es an der Tür.
      Der Junge ging hin

Weitere Kostenlose Bücher