Der zerbrochene Himmel
einer Kordel, und man hörte in der Ferne eine Glocke läuten. Während sie warteten, lachte Mamà derart weiter, daß man denken konnte, sie würde jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Padre Burruano kam und öffnete, und als sie eingetreten waren, verschloß er die Tür gleich wieder.
Sie gingen in die Sakristei, und Mamà sagte: »Michilino, geh in die Kirche.«
Auch die Tür der Sakristei wurde verschlossen, und der Kleine befand sich nun im völligen Dunkel der Kirche, nur das Licht einiger noch nicht niedergebrannter Kerzen sah man vor den Heiligen flackern. Michilino hatte zwar keine Angst, aber gleich verging seine Anspannung, die er bis zu diesem Augenblick mit sich getragen hatte. Die Statue, vor der mehr Kerzen brannten als vor jeder anderen, war der heilige Caloriu, und niemand konnte Michilino den Gedanken aus dem Kopf vertreiben, daß es sich bei ihm um einen als Heiligen verkleideten Bissinier handelte. Er ging auf die Statue zu und sah sie sich genau an. Dann kletterte er über das Geländer, achtete darauf, daß er sich an den Kerzen nicht verbrannte, zog den Karabiner von der Schulter, richtete das Bajonett auf und berührte mit dessen Spitze einen Fuß des Heiligen. Der war nicht aus Marmor, wie er gedacht hatte, sondern aus Pappmaché. Er drückte mit beiden Armen gegen den Karabiner, so lange, bis er spürte, daß das Pappmaché durchlöchert war. Dann verschnaufte er einen Augenblick und begann von neuem. Im Zeitraum von einer halben Stunde machte er ein Loch in den Fuß der großen Statue wie das, das die Nägel in die Füße des Heilands gemacht hatten. Dann zog er das Bajonett heraus, kletterte wieder über das Geländer und kniete vor dem Kruzifix nieder. Da befanden sich nur zwei Kerzen, die langsam erloschen.
»Ich habe dich gerächt«, sagte er zum lieben Heiland.
Und er fing an zu beten, mit gefalteten Händen, den Kopf nach oben gewandt, um in das Schmerzensgesicht Jesu zu blicken. So fand ihn auch Mamà vor, nachdem eine weitere halbe Stunde vergangen war.
Im Schein der Lämpchen merkte Michilino, daß der hintere Teil von Mamàs Rock benäßt war. Und dann war es auch, als wäre Mamà gerannt, sie war rot im Gesicht und atmete heftig. Ihre Bluse war völlig zerknittert.
»Hast du dich naß gemacht, Mamà?«
»Nichts, das ist nichts weiter«, sagte Mamà. »Ich hatte Padre Burruano um ein Glas Wasser gebeten, und da ist mir ein bißchen auf den Rock geschwappt.«
Zu Hause ging sie ins Badezimmer und schloß sich lange darin ein. Als sie wieder herauskam, hatte sie andere Kleider angezogen. Sie machte sich daran, den Tisch zu decken.
»Was hat dir der Pfarrer denn nun über mich gesagt?«
»Wie?« fragte Mamà.
Jedesmal, wenn Mamà bei Padre Burruano war, war es, als hätte sie hinterher alles vergessen. Aber dann sagte sie: »Er hat mir gesagt, daß du sehr tüchtig bist und mit zur Kommunion gehen kannst. Das ist in zwei Wochen.«
»Muß ich also nicht mehr hin und die Dinge mit Gott lernen?«
»Am kommenden Freitag gehst du zum letzten Mal. Hinterher wartest du auf mich in der Sakristei, denn ich werde dich abholen kommen.«
Sie sprach diese Worte und lief rot an.
»Darf ich für dieses letzte Mal den Karabiner mitnehmen?«
»Einverstanden, einverstanden«, sagte Mamà.
Michilino war äußerst zufrieden. Auf diese Weise würde er auch den anderen Fuß des heiligen Caloriu durchbohren können.
Am nächsten Tag brachte Papà eine Landkarte von Abessinien mit und befestigte sie mit Hertzwecken über der Eßzimmertür. Außerdem hatte er eine Dose Stecknadeln dabei, an denen italienische Fähnchen befestigt waren. Er erklärte Michilino, daß er die Stecknadeln auf die Dörfer und Städte setzen wollte, die unsere Truppen eine nach der anderen erobern würden. Die bissinischen Orte hatten eigentümliche Namen: Makallé, Takazzé, Adigrat, Amba Alagi, Amba Aradam, Axum; und die Namen der bissinischen Generäle erst, die im Radio genannt wurden, die waren noch viel eigentümlicher: Ras Sejum, Ras Destà, Ras Mangaschà … Am selben Abend hörten Papà und Mamà dann Radio, und die Dose mit den Stecknadeln war geöffnet.
»Dieser De Bono ist ein großer General«, erklärte Papà Michilino. »Der ist ein Quatrumvierer vom Marsch auf Rom. Den Abessiniern reißt er den Arsch auf.«
»Giugiù!« sagte Mamà vorwurfsvoll.
Am sechsten Tag im Oktober, gleich nach dem Mittagessen,
sagte das Radio, daß unsere Truppen, die aus Rithräa
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