Der zerbrochene Himmel
Wunde bekommen können, arme Clementina? Wie war es möglich, daß kein Blut aus diesem frischen Schnitt trat? Er nahm seine Hand vom Knie und berührte ganz sachte die Wunde. Die Witwe redete und lachte weiter mit Mamà. Wie kam es, daß sie keine Schmerzen fühlte?
Und warum trug sie keinen Verband? So wie sie war, konnte sie doch eine Infektion bekommen. Und die Wunde war nicht nur breit, sie mußte auch noch ziemlich tief sein. Mit Vorsicht und Feingefühl schob er zwei Finger hinein. Sie verschwanden. Er zog sie wieder heraus und sah nach, ob sie blutig waren. Aber nichts, sie waren lediglich ein bißchen naß. Da versuchte er, die geschlossene Faust hineinzuschieben, ganz langsam, immer ein bißchen mehr, und hatte Angst, er könnte ihr weh tun. In diesem Augenblick fiel Mamà die Zigarettenschachtel zu Boden, und sie bückte sich, um sie aufzuheben.
Die Witwe Sucato sprang auf. Von unter dem Tisch hörte Michilino den Krach zweier saftiger Ohrfeigen, die Witwe setzte sich wieder und sprang wieder auf, doch schaffte sie es nicht, rechtzeitig einer weiteren Ohrfeige auszuweichen.
»Du Hure! Du Schlampe! Raus aus meinem Haus! Verführt mir da meinen Jungen, diese Dreckschlampe! Raus! Du Hurensau!«
»Warte doch einen Augenblick, Ernestí!« sagte die Witwe Sucato und rannte immer um den Tisch, verfolgt von Mamà, die mit allem nach ihr warf, was ihr unter die Hand kam, einschließlich der Flasche Marsala.
»Du Hurenschnepfe! Du Bordellamsel! Ohne Schlüpfer präsentiert sie sich in meinem Hause, um meinen unschuldigen Jungen zu verführen! Elende Schabracke, du!«
Die Witwe konnte die Tür erreichen, sie öffnen und weglaufen. Mamà verschloß sie wieder, sie kam unter den Tisch, packte Michilino, der vor lauter Angst zitterte, und zog ihn hervor.
»Geh dir sofort die Hände waschen! Mit Spiritus!«
Als Michilino aus dem Bad zurückkam, fand er seine Mutter ausgehbereit vor. Sie atmete immer noch schwer, Tränen der Wut strömten ihr aus den Augen.
»Was hast du denn, Mamà?«
»Still. Du bleibst hier und stellst nichts an. Ich bin in fünf Minuten wieder zurück.«
»Gehst du dich mit Signora Clementina zanken?«
»Signora? Eine Schlampe!« sagte sie und ging hinaus.
Michilino wurde ganz blaß. Wie viele Sünden beging Mamà nur, wenn sie all diese unanständigen Wörter sagte, die man doch nicht sagen durfte! Er ging ins Schlafzimmer, kniete vor der Muttergottes nieder und betete für die Errettung von Mamàs Seele. Was war denn nur passiert? Wieso hatte das Spiel mit der Witwe Sucato Mamà so verärgert? Was war denn so Schlimmes dabei? Arme Witwe, mit dieser großen Wunde im frischen Fleisch! Statt ihr Ohrfeigen zu verpassen, hätte Mamà besser daran getan, einen Arzt zu rufen.
Mamà kam mit Padre Burruano zurück. Sie setzten sich ins Wohnzimmer und redeten einen kurzen Augenblick miteinander. Danach rief Mamà Michelino herein, gab ihm zu verstehen, daß er sich aufs Sofa neben den Pfarrer setzen solle.
»Jetzt werde ich dir ein paar Fragen stellen«, sagte Padre Burruano. »Aber versprichst du mir auch, die Wahrheit zu sagen?«
»Das verspreche ich.«
»Deine Mamà hat gesehen, daß du und die Witwe Sucato Dinge gemacht habt.«
»Ein Spiel.«
»Ah, es war ein Spiel?«
»Jawohl. Was denn sonst?«
Der Pfarrer blickte die Mamà an und machte eine Bewegung, als wolle er sagen: Siehst du, daß ich recht hatte? Mamà atmete tief ein.
»Ist es das erste Mal gewesen, daß ihr dieses Spiel gespielt habt?«
Und Michelino erzählte ihm alles, vom ersten Besuch von Signora Clementina an, als sie ihm geholfen hatte, Hose und Unterhose zu wechseln, bis zum ersten Spiel, als sie seine Hand zwischen ihren Beinen gefangenhielt. Mamà stand auf, Michelino hörte, wie sie sich im Badezimmer das Gesicht wusch. Unterdessen streichelte der Pfarrer ihm wortlos über den Kopf. Mamà kam zurück und wirkte ruhiger.
»Und was nun?« fragte sie.
»Die Dinge sind, wie sie sind«, sagte Padre Burruano. »Weiteres Reden richtet nur mehr Schaden an. Die Unschuld ist Unschuld geblieben. Gott sei Dank. Einverstanden?«
»Einverstanden«, erwiderte Mamà.
»Allerdings«, sagte Michilino, »sollte Signora Clementina sich darum kümmern.«
Sie sahen ihn verblüfft an.
»Worum soll sie sich kümmern?« fragte Padre Burruano.
»Um die Wunde zwischen ihren Beinen.«
Der Pfarrer drückte den Jungen an sich und küßte ihn auf den Kopf.
»Haben Sie ihm noch
Weitere Kostenlose Bücher