Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
drang durch die Kleider. Doch Michilino spürte den Regen gar nicht: Er war stolz auf das, was er gerade eben mit dem kleinen Jungen gemacht hatte, der ein Dieb war und sein Geld klauen wollte. Wie hieß es klar und unmißverständlich im Gebot? Du sollst nicht stehlen. Und daher mußte der Junge ihm dankbar sein, denn er hatte ihn daran gehindert, eine Todsünde zu begehen. Ganz sicher stand der liebe Herr Jesus an seiner Seite und führte mit Festigkeit und Genauigkeit seine Hand. Nach ungefähr zehn Minuten, die er im Regen gegangen war, hörte er hinter sich das Geräusch eines Karrens, der näher kam. Er drehte sich um und blieb stehen.
    »Heeehhhh!« sagte der Karrenkutscher und zog die Zügel an.
      Der Karrenkutscher redete unter einer Wachsplane, die ihn vor dem Regen schützte.
    »Mußt du weit?«
    »In den Ortsteil Cannateddru.«
      »Dann hast du noch ganz schön viel Weg vor dir! Ich kann dich bis zur Kreuzung von Spinasanta mitnehmen, das ist besser als nichts.«
      Michilino kletterte auf den Karren, und der Mann bedeckte auch ihn mit der Wachsplane, die für mindestens vier Personen reichte. Der Karrenkutscher war ein Vierzigjähriger mit Schnauzbart und dem Gesicht eines Mannes, der dem Wein zuspricht und von Natur aus ein Prasser ist. Und so fing er denn auch fast gleich an zu singen. Er sang völlig falsch, aber je falscher er sang, desto mehr lachte er.

    Affacciati, beddra, e pisciami 'nto 'n'occhiu, quannu ti viu lu pirripipacchiu …
    Zeig dich, du Schöne, und pinkle mir ins Auge genau, wenn ich dir in den Pirripipacchiu schau …

    Auch Michilino mußte lachen. Er hatte noch nie ein Lied gehört, in dem einer eine junge Frau bittet, ihm Pipì in ein Auge zu machen.
    »Was ist denn der Pirripipacchiu?« fragte er.
    »Das weißt du nicht? Der Pirripipacchiu ist der Stecchiu.«
    »Und was ist der Stecchiu?«
      »Heilige Muttergottes, du bist ja wirklich unschuldig wie das liebe Jesuskind! Der Stecchiu ist die Natur einer Frau, das, was die Frauen zwischen den Beinen haben, so etwas wie eine mollig warme Grotte …«
    »Das weiß ich.«
    Der Karrenkutscher starrte ihn verblüfft an.
      »Hast du ihn gesehen? Zeigt man dir so was denn in deinem Alter?«
      »Ich hab' meine Hand reingesteckt. Aber das tut man nicht, und ich hab's nicht gewußt, daß man das nicht tut.«
    »Und wer war das, die sich die Hand hat reinstecken lassen?«
    »Eine Witwe.«
      »Sieh sich einer die kleine Schlampe an!« sagte der Karrenkutscher verwundert. »Einen so kleinen Jungen in Verlegenheit zu bringen!«
    Und er fing wieder an zu singen.

    La vidova che è sutta li linzola, sulu con la sò mano si consola …

    Die Witwe, die sich unter den Bettüchern fand, sie tröstet sich allein, mit ihrer eignen Hand …
    Sie kamen zur Kreuzung von Spinasanta, es hatte aufgehört zu regnen, und der Himmel heiterte auf. Der Karrenkutscher nahm die Straße nach Montelusa, Michilino die, die zum Ortsteil Cannateddru führte. Er rechnete, daß es bis zu Nonnos Haus noch zwei Stunden waren. Ihm war kalt, und er bekam Appetit. Aber wenn er sich nun aufhalten würde, um zu essen, würde er zuviel Zeit verlieren. Er öffnete das Bündel, holte das Brot und den Käse heraus und machte sich mit dem Taschenmesser ein belegtes und zusammengeklapptes Brot, so konnte er essen und zugleich seinen Weg fortsetzen. Erst als er das Brot zum Mund führte, bemerkte er, daß es ein bißchen blutverdreckt war, was hieß, daß er das Taschenmesser nicht richtig saubergemacht hatte. Er blieb stehen, legte das Bündel auf die Erde, legte das Brot darauf, nahm das Taschenmesser, klappte es auf und machte es zuerst mit einem großen Blatt sauber, das er von einem Baum gerissen hatte. Nachdem er sicher war, daß die Klinge keinen Schaden davongetragen hatte, steckte er das Taschenmesser wieder ein, hob das Bündel auf den Rücken, setzte seinen Weg fort und aß.
      Er war eine halbe Stunde gegangen, als er ein Auto auf sich zukommen sah. Er erkannte es sofort, es war der Lancia Astura von Nonno Aitano. Als auch der Nonno ihn erkannte, bremste er scharf und war verblüfft. Er schaute zum Seitenfenster heraus.
    »Michilino!«
      Der Junge lief zu ihm, stieg ins Auto, der Nonno hatte ihm die Tür geöffnet.
    »Michilino, wohin bist du unterwegs?«
    »Zu euch, ich will Mamà sehen.«
    »Aber weiß dein Vater das?«
    »Nein, ich bin heute morgen weggelaufen.«
    »Heilige Madonna, inzwischen ist dein Vater Giugiù
    wahnsinnig geworden! Machen

Weitere Kostenlose Bücher