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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Hand weg!«
    Michilino nahm sie weg.
    »Warum mußte ich sie wegnehmen? Mamà …«
      »Ich bin nicht deine Mutter. Solche Sachen tut man zwischen Mann und Frau oder zwischen einer Mutter und Kind, doch nur, wenn es so klein ist wie du.«
    »Auch zwischen Verlobten?«
    Marietta antwortete nicht.
    »Heh, Mariè? Auch zwischen Verlobten?«
      »Meine Güte, du läßt wirklich nicht locker! Aber laß mich jetzt in Ruh!«
    »Erst antwortest du, dann lass' ich dich in Ruh.«
      »Einverstanden. Zwischen Verlobten tut man das manchmal, aber man sollte es nicht tun.«
    »Warum?«
    »Weil es Sünde ist.«
    »Todsünde?«
    Auch diesmal antwortete Marietta nicht.
      »Mariè, willst du endlich antworten? Du hast es mit Balduzzo getan? Wenn du das getan hast, wenn du dir die Brüste hast berühren lassen, dann muß ich wissen, ob das eine Todsünde ist oder nicht.«
      »Wenn zwei Verlobte sich wirklich mögen und wirklich heiraten wollen und dies tun und vielleicht auch noch anderes, dann ist es zwar eine Sünde, aber eine läßliche, keine Todsünde. Bist du jetzt zufrieden?«
      Michilino drängte sich noch fester an Marietta, er fing an, ihren Rücken zu küssen, der vom Nachthemd bedeckt war.
    »Ich mag dich wirklich«, sagte er mit erstickter Stimme.
    »Ich dich auch«, sagte die Cousine.
      »Warum verloben wir uns dann nicht? Und wenn ich groß werde, heirate ich dich.«
    Michilino wußte nicht, ob Marietta angefangen hatte zu lachen
    oder zu weinen. Aber sie drückte ihren Körper so gegen Michilino, daß er sich mit dem Rücken an der Wand fand.
      Dann nahm die Cousine Michilinos Hand und legte sie auf eine Brust, die sie aus dem Nachthemd hervorgeholt hatte.
      »Ja«, sagte sie, »verloben wir uns, aber das dürfen wir niemandem sagen.«
      Die Spitze, die sich in der Mitte der Brust befand, war so spitz geworden, daß Michilino meinte, sie könnte stechen wie die Spitze des Bajonetts auf seinem Gewehr.

    Der Junge antwortete mit einem weiteren verzweifelten Schrei: » Meine Mutter ist tot!«
       Der Arzt erschien in der Tür und sagte: »Deine Mutter ist gerettet.«
       Der Junge sah ihn einen Augenblick lang an, dann warf er sich ihm schluchzend zu Füßen: »Danke, Dottore!«
       Doch der Arzt half ihm mit einer Bewegung hoch und sagte: » Steh auf! Du bist es, du heldenhafter Junge, der seine Mutter gerettet hat.«
    Mit diesen Worten endete das Buch Cuore, und diese letzte Seite wurde mit Michilinos Tränen durchtränkt. Ein Glück, daß Marietta einkaufen gegangen war, denn sonst hätte er sich geschämt, so vor ihr zu weinen. Er stand auf, ging ins Schlafzimmer, öffnete die Siebentagekommode und nahm eine Unterhose, zwei Paar Socken, einen Pullover und zwei Taschentücher und stopfte sie in einen Kopfkissenbezug, den er wie einen Beutel auf dem Rücken tragen wollte. In den Bezug stopfte er auch noch einen halben Laib Brot und ein bißchen Käse. Er zog den Mantel über und die Mütze auf. Das Bereitschaftsgewehr ließ er zu Hause, es hätte ihm nichts genutzt, und das mit der zugespitzten Klinge bei der Lehrerin Pancucci zu holen, hatte er keine Zeit. Es genügte ihm das Taschenmesser, das er mit Totò getauscht hatte und immer bei sich in der Tasche trug. Bevor er wegging, sah er auf die Uhr im Eßzimmer, es war zehn Uhr vormittags. Er rechnete sich aus, daß er gegen sieben Uhr auf dem Land bei Nonno Aitano ankommen würde, wenn er zügig ging und eine Stunde Pause zum Essen und Ausruhen einlegte. Heilige Muttergottes, wie zufrieden Mamà sein würde, wenn sie ihn vor sich auftauchen sah! Und wenn sie krank war, würde er sich darum kümmern, sie wieder gesund werden zu lassen, durch seine Anwesenheit und seine Gebete zum lieben Herrn Jesus, der ihn als einen seiner besten Soldaten, die es in dieser Gegend gab, sicher bevorzugt hätte. Den Weg kannte er gut, er war ihn oft in Nonno Aitanos Lancia Astura gefahren. Die Gefahr, sich zu verirren, bestand nicht. Wichtig war, daß er, während er durch den Ort ging, nicht von jemandem erkannt wurde, der ihm Fragen stellen oder seinem Vater vielleicht sagen würde, daß er ihn gesehen hatte. Er brauchte gut eine halbe Stunde, um aus dem Ort zu kommen, doch glücklicherweise traf er niemand Bekannten. Als er auf der Straße nach Montelusa war, fing er an, sich Sorgen zu machen, denn es blitzte und Regen setzte ein. Und das war eine ernste Angelegenheit, denn er hatte keinen Regenschirm dabei, und wenn ein richtiger Regenschauer kam,

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