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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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konnte er nichts anderes tun, als Schutz zu suchen und abzuwarten, daß er vorüberzog. Doch damit würde er Zeit verlieren, und wenn es dunkel wurde, würde er nicht mehr in der Lage sein, sich zu orientieren. Das einzige war, so schnell wie möglich zu gehen. Er würde es keinem erlauben, weder einem Menschen noch dem Regen, ihn daran zu hindern, seine Mutter aufzusuchen.
    »Heh, du da, wo gehst du hin?«
    Die Stimme kam völlig unerwartet, denn weil er mit gesenktem Kopf ging, hatte er die beiden Dreizehnjährigen nicht gesehen, die am Straßenrand auf einem großen Felsblock saßen. Sie hatten völlig durchlöcherte Kleidung an, sie waren elendig verdreckt und barfuß. Einer trug einen Wollschall fest um den Hals gewickelt, der andere eine alte Schiebermütze, die schwarz und breit war und ihm über die Ohren ging.
      Michilino wollte nicht antworten und ihnen ausweichen, aber die würden ihm sicher nachlaufen, es war deutlich, daß sie Streit suchten. Auch rennen war sinnlos, sie hätten ihn sofort eingeholt. Er blieb stehen, er blickte sie an und fühlte, daß er überhaupt keine Angst hatte, im Gegenteil.
      »Was geht das euch denn an, wo ich hingehe! Kümmert euch um euren Kram.«
    »Wir kümmern uns schon um unseren Kram.«
    Der mit dem Schal fing an zu lachen, der andere fiel ein.
      »Wieviel Geld hast du denn in der Tasche?« fragte ihn der Junge mit dem Schal, als er aufgehört hatte zu lachen.
      Michilino wurde blaß, nicht aus Angst, sondern weil ihm in diesem Augenblick klarwurde, daß er keinerlei Geld von Zuhause mitgenommen hatte, das ihm auf dem Weg und im Notfall vielleicht hätte nützlich sein können.
    »Nicht einen Soldo.«
    »Glaub ich dir nicht, zeig mir deine Taschen.«
      Michilino setzte das Bündel ab, steckte eine Hand in die Manteltasche, nahm das Taschenmesser und versteckte es hinter seinem Rücken. Auch die linke Hand führte er zum Rücken.
      »Nee, nee, nee!« sagte der Junge mit dem Schal. »Du willst uns für blöd verkaufen! Was hast du da aus der Tasche gezogen?«
    Er stieg von dem Felsblock hinunter und kam langsam näher, ein bedrohliches herausforderndes Lächeln im Gesicht, sicher, daß Michilino sich nicht bewegen und vor lauter Angst wie versteinert sein würde. Kaum war er in Reichweite, schoß Michilinos Arm vor wie eine gefährliche Schlange. Er hatte auf den Mund gezielt, auf dieses Lächeln, und wirklich drang die Klinge des Taschenmessers zwischen Lippen und Zähne und bewegte sich unter Michilinos Hand nach rechts. Im Nu fand sich der Junge mit einem von einer Wunde gezeichneten Mund wieder, die das halbe Gesicht entstellte. Er hatte wohl nicht gleich begriffen, was da passiert war, denn er trat verblüfft zwei Schritte zurück. Dann sah er das Blut, das sein Hemd durchtränkte. Er führte ungläubig seine Hand an den Mund.
      »Heilige Madonna!« rief er, fiel mit dem Hintern auf die Erde und versuchte, das Blut zu stillen, das ihm aus der Wunde schoß. »Du hast mich vernichtet!« Und fing an zu weinen. Er hatte mit erstickter Stimme gesprochen, genau wie jemand, der im Schlaf flüstert. Der andere, der mit der Schiebermütze, kam von dem Stein herunter und rannte weg, ohne einen Laut zu sagen. Er rannte wie ein von einem Frettchen aus seinem Bau gescheuchter Hase. Michilino bückte sich über den gestürzten Jungen und nutzte den Augenblick, als dieser sich die vom Blut der Wunde verschmierte Hand betrachtete, um ihm ruhig und präzise noch einen Stich in die sich ihm bietende heile Gesichtshälfte zu versetzen. Der Junge streckte sich auf dem Rücken aus, trat in die Luft wie ein durchgedrehter Radrennfahrer und weinte und klagte.
    »Töte mich nicht, töte mich nicht!«
      »Wenn du auf der Stelle verschwindest, töte ich dich nicht. Ich zähl bis drei. Eins …«
      Er war noch nicht bis zwei gekommen, da war der andere, zuerst auf allen vieren, dann aufrecht, geflohen und schrie verzweifelt.
    Das Blöde mit dem Messer und auch mit dem Bajonett war nur, daß es, nachdem du es gebraucht hast, mit Blut verdreckt war und man es sofort sauber machen mußte, weil das Blut sonst trocknete und eine Kruste bildete, die die Klinge beeinträchtigte. Michilino sah am Straßenrand ein Büschel Gras, riß eine Handvoll davon aus und reinigte das Taschenmesser und auch seine Hand, die ebenfalls blutverdreckt war.
      Mit seinem Bündel auf dem Rücken machte er sich wieder auf den Weg. Es begann zu tröpfeln. Es nieselte, und dieser feine Regen

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