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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Überraschungsangriff nicht gerechnet hatte, daher nach hinten fiel und in einem Stapel Tomatendosen landete, die wie eine Pyramide aufgeschichtet waren. Die Dosen flogen überallhin, der Neapolitaner kam aus dem hinteren Raum zurück und ließ als erstes das Rollgitter herunter. Indessen war die Witwe wieder aufgestanden und es war ihr gelungen, Marietta bei den Haaren zu packen. Marietta schrie, aber dann versetzte sie der Witwe einen Tritt in den Bauch. Michilino hatte sich hinter dem Tresen in Sicherheit gebracht und hob gelegentlich den Kopf, um zu beobachten. Der Streit zwischen den Frauen hörte auf, weil der Neapolitaner, ein großer, kräftiger Mann, die Witwe packte, sie zur Tür schleifte, das Rollgitter ein wenig anhob und sie hinauswarf.
      »Geht ihr jetzt mit euren eigenen Füßen«, fragte der Neapolitaner dann Marietta und Michilino, »oder soll ich euch rauswerfen?«
      Sie gingen mit ihren eigenen Füßen. Irgendwann auf dem Markt bekam Marietta einen Lachkrampf.
    »Warum lachst du?«
    »Nichts weiter, es ist nur die nervliche Anspannung.«
      Auch Mamà hatte einmal so lachen müssen, als sie mit ihm zu Padre Burruano ging. Warum nur lachten Frauen, wenn sie nervlich angespannt waren? Auch die Witwe hatte gelacht, kurz bevor sie den Streit anfing.
    »Mariè, wenn wir wieder zu Hause sind, erinnere mich daran, daß ich dich etwas fragen muß, aber vergiß es nicht.«
    Zu Mittag trank Marietta vier oder fünf Glas Wein. Diese Gewohnheit hatte sie seit einiger Zeit angenommen. Sie mochte es, angeheitert vom Tisch aufzustehen. Michilino erinnerte sich, daß er die Cousine etwas fragen wollte, aber ihm wollte nicht mehr einfallen, was es war. Plötzlich sagte Marietta leicht errötend: »Neulich nachts, als dir die Sache mit dem Vögelchen passiert war, hast du gesagt, daß das so gekommen wäre, weil Onkel Giugiù dir etwas gesagt hatte.«
    »Ja.«
    »Erinnerst du dich, was?«
      »Ja. Daß Maraventano erschossen würde, der Schneider, der seinen Sohn ermordet hat.«
    »Deswegen?« fragte Marietta verwundert.
    »Deswegen.«
      »Das bedeutet, daß, wenn du hörst, jemand muß sterben, dann wird …«
    »Nein, nur bei Maraventano.«
    »Wieso?«
    »Weil er Kommunist ist … ich meine: war.«
    Marietta fing an zu lachen.
      »Wenn es also wieder so werden soll wie neulich nachts, dann muß ich einen Kommunisten umbringen?«
      »Nein, es reicht, wenn du eine Schallplatte mit einer Rede von Mussolini auflegst.«
      »Ach ja, richtig, das hattest du mir ja schon gesagt. Aber das glaub' ich nicht.«
    »Dann probier's doch.«
    Marietta stand auf und ließ das Lachen hören, das Frauen bekommen, wenn sie nervlich angespannt sind. Sie öffnete das Radio, hob den Deckel hoch und legte eine der drei heilen Schallplatten mit den Reden Mussolinis auf. Sobald Michilino die Stimme hörte, sagte er: »Mach's ein klein bißchen lauter.«
    »Aber es ist doch schon so laut.«
      »Ich brauch's ein bißchen lauter. Hab keine Angst, keiner kann uns hören.«
      Während Mussolinis Stimme im Zimmer dröhnte, stand Michilino auf. Und Marietta sah zuerst einen Höcker, der sich vorne bei dem Jungen bildete, dann löste sich der Höcker auf und wurde zu einer Art Schlange, die gegen den Stoff preßte und drohte, die Hosenknöpfe aufzusprengen. Wie unter einem Zauber, kam Marietta zu Michilino, hockte sich vor ihn hin und begann, ihn vorsichtig aufzuknöpfen.
      »… die demoplutojüdischen Kräfte, die verhindern wollen, daß unser Volk den Platz erobert, den …«, sagte Mussolini.
      Sie hatte den letzten Knopf noch nicht aufgemacht, da schoß die Schlange bedrohlich aus ihrem Versteck hervor, und Marietta mußte zur Seite springen, um nicht im Gesicht getroffen zu werden.
    Mussolinis Redeweise zeigte ihre Wirkung, soviel war gewiß, aber bei weitem nicht die, die die Mitteilung von der Erschießung Maraventanos hervorgerufen hatte. Und nachdem sie es in der gewohnten Stellung gemacht hatten, bat Marietta Michilino, sich rücklings hinzulegen, und sie bestieg ihn wie ein Pferd. Danach wollte sie es noch einmal so machen wie mit Balduzzo, und sie nahm, wie man das allgemein nennt, die Schäfchenstellung ein, doch so sehr sie auch auf dem Bett probierte, es gelang nicht, denn der Größenunterschied zwischen ihr und Michilino war beträchtlich. Da stieg sie herunter und machte die gleiche Stellung auf dem Boden. Und diesmal gelang es ihnen nach einigem Hin und Her, sich ineinander zu verhaken.

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