Der zerbrochene Kelch
das Handy auf den Tisch vor ihnen, von wo aus noch mal Karens unheimlich veränderte Stimme zu hören war.
Hillairet schüttelte erneut den Kopf. »Es ist wirklich schwer zu verstehen, ich glaube, sie nennt keine Namen.
Ich glaube aber ›dein Bruder‹ herausgehört zu haben.«
Mansfield strich sich übers Kinn. »Merkwürdig.«
»Und außerdem ruft sie noch: ›Lass meinen Sohn frei.‹ Und ihre letzten Worte sind: ›Wir werden alle sterben.‹«
Mansfield griff nach seinem Handy und betrachtete ungläubig das silberne Gerät, als würde es ihnen etwas aus einer anderen Welt erzählen, während der Professor die Lage einfacher einschätzte.
»Mir scheint, dass Madame Alexander von der Kulisse dieses alten Ortes tief in ihrem Unterbewusstsein so beeindruckt ist, dass sie Albträume quälen.« Er griff nach einer Kanne Kaffee und hielt sie Mansfield hin, doch der schüttelte den Kopf. Hillairet goss sich eine Tasse ein. »Das Einzige, was mich äußerst irritiert, ist«, sagte er, während er die Tasse zum Mund führte, »dass Madame Alexander Altgriechisch spricht, obwohl sie es meines Wissens doch gar nicht kann.«
»Ja«, murmelte Michael und strich sich noch mal übers Kinn. »Das irritiert mich auch.«
51
Delvaux hatte gesehen, dass Mansfield zu Prof. Hillairet hinübergegangen war, und glaubte jetzt den richtigen Zeitpunkt gefunden zu haben, um seinen Plan auszuführen. Es störte ihn, dass Karens Freund plötzlich hier im Camp aufgetaucht war, und er wollte alles versuchen, um ihn wieder nach New York zurückzujagen.
Karen hatte Mansfield gestern Nachmittag Prof. Hillairet vorgestellt, als er, Nikos und Spyros ebenfalls bei ihm zu einer Besprechung waren, und so hatten sie ihn auch kennengelernt. Delvaux war aus mehreren Gründen nicht besonders glücklich über diesen Besuch. Außerdem war es ungewöhnlich, dass ein Außenstehender, der mit der Ausgrabung nichts zu tun hatte, im Camp schlafen durfte.
Aber für Karen schienen hier andere Gesetze zu herrschen. Und als Hillairet ihm erzählte, dass Mansfields Vater einen eigenen kleinen Fernsehsender in New York besitze, von dem er sich eventuell Sponsoring-Gelder erhoffe, wenn man ihm eine Reportage genehmigen würde, war Delvaux einiges klar.
Er musste diesen Kerl aus dem Camp kriegen, egal, wie. Und manchmal waren dann die einfachsten Mittel die effektivsten.
Er hatte bemerkt, wie glücklich Karen neben Mansfield war, während dieser einen blassen und mitgenommenen Eindruck gemacht hatte. Er vermutete zuerst, dass der Jetlag dafür verantwortlich war, aber Prof. Hillairet erzählte ihm später, nachdem sie gegangen waren, dass Mansfield gerade eine schwere Zeit im Krankenhaus durchgemacht habe. Er solle mehrere Tage im Koma gelegen haben, sagte Hillairet.
Und warum war er dann wieder aufgewacht? Nur, um ihn hier in Delphi zu stören, wo er sowieso schon genug Probleme mit Nikos hatte? Delvaux fasste einen einfachen Plan.
Als Mansfield bei Prof. Hillairet war, klopfte er bei Karen an die Tür. Sie ließ ihn hinein. Unter anderem fragte sie ihn nach seiner Arbeit mit der Kylix, was Delvaux missmutig und ausweichend beantwortete. Eliadis hatte sie ihm noch nicht wieder zurückgebracht, aber er würde nicht mehr lange warten, ehe er härter gegen ihn vorgehen würde. Doch das spielte sich alles nur in seinen Gedanken ab, während Karen ihn weiterfragte, wie es seinen Rippen und seinem Kopf gehe.
»Hast du noch Schmerzen, Simon?«
Er dehnte und reckte sich. »Die Schmerzen sind eigentlich nicht so schlimm, aber mein ganzer Körper fühlt sich so steif an, wie nach einem riesigen Muskelkater. Du bist mir übrigens noch einen Kuss schuldig, Karen.«
Karen blieb erstaunt stehen und drehte sich zu ihm um. »Einen Kuss? Wofür?«
»Dafür, dass ich dir deinen hübschen Kopf vor einem hässlichen Felsen gerettet habe.«
Karen sah in Delvaux’ Augen ein begehrliches Leuchten. Sie drückte sich gegen die Wand. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Es ist mein völliger Ernst. Komm schon, es ist doch nur ein Kuss.«
Karen fühlte sich unangenehm an Nikos’ Vorwurf erinnert, dass sie sich gegen Simon nicht sträuben würde. War es wirklich so? War ihr Simon lieber als Nikos? Und was war mit Michael? Er konnte jeden Augenblick vom Professor zurückkommen.
»Nein, Simon, das kannst du nicht von mir verlangen. Ich lad dich gern mal zum Essen ein …«
Doch Delvaux schüttelte den Kopf. »Nein. Yiorgos’ Taverne steht nicht mehr, und außerdem gebe
Weitere Kostenlose Bücher