Der zerbrochene Kelch
ihm den Gefallen und verließ das Badezimmer.
Im Wohnzimmer saß Karen in einem der alten Sessel und betrachtete das Chaos um sich herum, als Eliadis aus dem Flur auftauchte.
»Wie geht es ihm?«
»Er hat einen harten Schädel. Er wird es verkraften.«
»Was wollten die nur von uns?«
Eliadis hatte so eine Ahnung, was sie gesucht hatten. Er spürte die Kylix-Scherbe in seiner Hosentasche, die immer mehr Macht über ihn zu gewinnen schien, und er wusste, dass er die Sache bald beenden musste.
48
Nachts lag Karen in ihrem Bett und beobachtete, wie der fahle Mondschein durch die dünnen Gardinen über ihren Wandschrank wanderte. Sie konnte nicht schlafen. Die Erinnerungen an den Überfall waren noch zu frisch, und die Angst, in dieser Hütte nicht sicher zu sein, raubte ihr den Schlaf. Beinahe wäre sie zu Nikos rübergegangen und hätte bei ihm um ein Bett gefragt, denn bei ihm hatte man nicht eingebrochen. Seine Hütte schien vor den Unbekannten sicher zu sein. Eine Sicherheit, die sie jetzt brauchte.
Oder wenn Michael bei ihr gewesen wäre … dann hätte sie sich auch sicher gefühlt. Aber nach allem, was geschehen war, fühlte sie sich im Moment schrecklich einsam und verletzlich. Am liebsten wäre sie abgereist, doch sie wollte auch nicht so schnell aufgeben. Vielleicht wollte sie jemand hier aus Delphi vertreiben? Aber wer sollte das sein? Und warum?
Unruhig drehte sie sich von einer Seite auf die andere und versuchte dem hellen Mondlicht zu entkommen.
Was immer die Räuber im Camp gesucht hatten, sie hatten es anscheinend nicht gefunden. Ihren Laptop würde sie morgen durch einen neuen ersetzen und weiterarbeiten, und auch bei Delvaux hatten die Einbrecher keinen großen Schaden angerichtet. Sie hatten nur etwas gesucht. Aber was? Geld? Goldene Ausgrabungsstücke oder …
Siedend heiß erinnerte sie sich daran, wie Simon ihr stolz erzählte, dass die Kylix des Kleophrades etwas Besonderes, etwas Einmaliges auf der Welt sei.
Aber würde jemand für diese Kylix einbrechen? Oder sogar morden? Wie wertvoll war diese Kylix wirklich? Und … wer würde so einen Überfall in Auftrag geben?
Karen fröstelte, obwohl sie im warmen Bett lag. Der Aufenthalt hier in Delphi schien allmählich aus allen Fugen zu geraten. Und auf Nikos und Simon konnte sie sich anscheinend auch nicht mehr verlassen, denn die beiden belauerten einander wie rivalisierende Panther. Irgendetwas war zwischen ihnen geschehen. Irgendetwas hatte ihre Freundschaft, falls sie jemals wirklich existiert hatte, in Feindschaft verwandelt. Sie schienen ein gemeinsames Geheimnis zu haben, das sie zu Rivalen machte, und Karen hatte immer öfter das Gefühl, sich mitten in ihrem Schlachtfeld zu befinden.
Seufzend zog sie die Bettdecke bis zum Kinn und drehte sich auf die andere Seite, sodass das Mondlicht in ihrem Rücken war. Sie starrte auf die leere Bettseite neben sich und wünschte sich nichts sehnlicher, als Michael bei sich zu haben. Sie hatte das Gefühl, mit ihm zusammen Berge versetzen zu können, und merkte jetzt jeden Tag, wie sehr ihr seine Stimme, seine leuchtenden Augen, sein Humor und seine breite Schulter fehlten. Sie waren seit einem halben Jahr nie länger als zwei Tage voneinander getrennt gewesen, und Karen verstand allmählich, dass sie damit viel Glück gehabt hatte.
Es war wirklich unerträglich, in diesem großen Bett allein liegen zu müssen und Michael tausende von Kilometern entfernt in New York zu wissen. Aber war sie nicht selber schuld? Sie wollte ja unbedingt einen neuen Auftrag von Julius, auch wenn sie wusste, dass es für sie und Michael einige Tage Trennung bedeutete. Die würden sie schon überstehen, hatte sie gedacht, aber nach allem, was sie bisher in Delphi erlebt hatte, war sie sich nicht mehr so sicher. Zusammen mit Michael hätte sie hier alles viel leichter ertragen – die Erdbeben, die einstürzende Höhle, den Überfall. Er hätte sie beschützt, hätte sie in den Arm genommen und sie getröstet.
Aber er war eben nicht da. Sie hatte ihn in New York allein gelassen, weil sie gedacht hatte, in Delphi ohne ihn zurechtzukommen, und weil sie nicht mit Überfällen und Erdbeben gerechnet hatte. Sie sollte doch nur für ein Buch recherchieren. Mehr nicht.
Und jetzt befand sie sich mitten in einer Privatfehde zweier Männer und war den Gefahren unberechenbarer Urgewalten und fremden Einbrechern ausgeliefert.
Sie fühlte sich elend. Am liebsten wäre sie am nächsten Morgen abgereist, aber da war noch
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