Der zerbrochene Kelch
ich mich damit nicht zufrieden. Ist dir dein Leben tatsächlich nur ein Essen wert? Ich verlange einen Kuss. Nicht mehr und nicht weniger. Hier und jetzt.« Er drängte sie zur Wohnzimmertür.
Karen fühlte sich gefangen. Egal, was Nikos gesagt hatte, dies war Erpressung. Aber immerhin hatte sie Simon wirklich ihr Leben zu verdanken. War da ein Kuss zu viel verlangt?
Delvaux’ Mund näherte sich ganz langsam ihren Lippen. Wie selbstverständlich nahm er sie in seine Arme und küsste sie, doch dann merkte er, wie Karen plötzlich erstarrte. Ein kühler Lufthauch umspielte ihre Beine, und als er sich umsah, stand Mansfield mit steinernem Gesicht in der Tür.
»Störe ich?«, fragte er kalt und durchbohrte Delvaux mit seinem Blick. Die Tür ließ er weit geöffnet, was Delvaux mit einem leichten Lächeln als Aufforderung verstand. Er ließ Karen los und zwinkerte ihr aufmunternd zu.
»Es war mir ein Vergnügen«, sagte er und ging dann langsam durch die Tür.
Mansfield folgte ihm nach draußen. Er packte ihn am Arm. »Was sollte das eben?«
Delvaux grinste frech. »Sie küsst wirklich gut. Hat wundervolle weiche Lippen …«
Das war zu viel für Mansfield. Mit einem gezielten Kinnhaken fegte er Delvaux von den Holzstufen. Er landete im Staub und hielt sich sein schmerzendes Kinn, doch seine Augen funkelten boshaft.
»Das wird Ihnen auch nicht weiterhelfen, Mansfield. Karen entscheidet selber, wen sie küsst und wen nicht. Ich bin schon am ersten Tag mit ihr ausgegangen. Ich hab sogar schon mal auf ihr gelegen und meinen Kopf auf ihre weiche Brust gebettet. Ah, eine herrlich weiche Brust, kann ich Ihnen sagen.«
»Das ist eine Lüge!«, schrie Mansfield.
»Ist es nicht! Fragen Sie sie doch selbst!« Er deutete auf die Tür hinter Mansfield, in der Karen stand und den Streit der beiden Männer verfolgte. Mansfield drehte sich zu ihr um.
»Sag, dass das nicht wahr ist«, forderte er sie auf, und Karen glaubte einen aufkeimenden Zweifel in seiner Stimme herauszuhören. War er wirklich eifersüchtig? Wegen dieses erzwungenen Kusses, den er gesehen hatte? Traute er ihr wirklich zu, dass sie ihn hier in Delphi mit Simon betrügen würde? Tief verletzt wollte sie ihm eine Lektion erteilen.
»Ja, es stimmt, was er sagt. Und jetzt lasst mich alle in Ruhe!«, schrie sie und knallte hinter sich die Tür zu.
Mit einem zufriedenen Lächeln stand Delvaux auf und klopfte sich den Staub von der Hose, während er langsam auf seine Hütte zusteuerte. Er spürte Mansfields Blick wie einen Messerstich im Rücken und freute sich, dass sein Plan so gut geklappt hatte. Er hatte anscheinend genau den richtigen Zeitpunkt für den Kuss gewählt und Karen extra zur Tür geschoben, damit Mansfield alles mitbekam, sobald er die Haustür öffnete.
Er war gespannt, was sich nun entwickeln würde.
52
Eliadis kam gerade vom Museum hoch, als er Delvaux mit staubiger Kleidung zu seiner Hütte gehen sah, während Mansfield aus dem Camp stürmte. Der Amerikaner ging nicht zum Heiligen Bezirk, sondern humpelte den steilen Abhang zur Nationalstraße hinunter und weiter ins tiefe Pleistos-Tal hinab.
Zuerst zögerte Eliadis, doch dann folgte er ihm. Hatte Mansfield ein bestimmtes Ziel, oder war er tatsächlich so verrückt, alleine diese Felsen hinunterzuklettern, ohne die Wege zu benutzen? Andererseits … sollte ihm das nicht egal sein? Wenn er sich zu Tode stürzte, war der Weg zu Karen endlich frei.
Eliadis blieb stehen und überlegte kurz, doch dann gab er sich einen Ruck. »Mansfield, passen Sie auf. Die Felsen sind gefährlich.«
Doch Mansfield winkte ab, ohne sich umzudrehen. »Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß!«
Eliadis zuckte mit den Schultern. »Okay, dann brechen Sie sich eben den Hals. Das soll mir und Karen nur recht sein.« Er drehte sich um und begann den Felsen wieder hinaufzuklettern, während seine Worte wie erwünscht Mansfields Ausflug ins Tal augenblicklich zum Stillstand brachten.
»Was?«
Mansfield wandte sich um und stürmte den Berg wieder hinauf. Mit geballten Fäusten humpelte er auf Eliadis zu, packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen einen Baum. »Was soll das heißen, Sie und Karen …?«
Eliadis zeigte keine Furcht und ließ Mansfields harten Griff zu. »Na los, schlagen Sie mich!«
Mansfield stand mit geballter Faust vor ihm, aber er zögerte. Er war tatsächlich in der Stimmung, jemanden zu verprügeln, aber Delvaux wäre ihm tausendmal lieber gewesen. Er schaute an dem jungen Griechen
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