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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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Karen und Nikos auf den verwitterten Marmorstufen des alten Amphitheaters und blickten auf die Tempelruine und das alte Pleistos-Tal hinab. Den ganzen Vormittag hatten die Beamten der Mordkommission sie verhört, um die Geschehnisse des vergangenen Tages rekonstruieren zu können, und hatten ihre Aussagen protokolliert. Doch da alle Aussagen übereinstimmten und alle vorhandenen Indizien vorerst auf Notwehr schließen ließen, brachen die Beamten am Mittag wieder auf, und Delphi fiel in seine gewohnte Ruhe zurück.
    Eliadis hatte sich auf einen der alten Marmorplätze des Amphitheaters zurückgezogen und dort lange allein gesessen, ehe Karen ihn entdeckt hatte, zu ihm hinaufgewandert war und sich zu ihm gesetzt hatte. Er griff nach ihrer Hand und schenkte ihr ein vertrautes Lächeln.
    »Theophora hat mir gesagt, dass eines Tages eine Frau aus Ägypten kommen wird, die ich aus einem früheren Leben kenne, und dass das Schicksal uns wieder zusammengeführt hat, weil wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben.«
    »Und woher wusstest du, dass ich diese Frau bin?«
    Eliadis griff nach ihrer goldenen Maat-Kette am Hals und ließ den kleinen Anhänger im hellen delphischen Sonnenlicht glänzen.
    »Als ich die Kette sah, wusste ich, dass sie dich gemeint hatte.«
    Karen neigte leicht den Kopf. »Viele Menschen tragen goldene Ketten mit ägyptischen Anhängern. Michael hat auch einen.«
    »Ja, ich weiß. Er trägt den Falkengott Horus, den Sohn der Isis und des Osiris. Aber du trägst die Maat, die Göttin der Weltordnung und der Gerechtigkeit. Wir Griechen haben viel von den Ägyptern gelernt, nachdem Solon und Herodot das Reich am Nil besucht haben und von ihren Reisen berichteten. Ihr habt uns geprägt und bereichert.«
    Karen wandte den Kopf. »Du weißt …?«
    »Sei still«, flüsterte Eliadis und drehte den Anhänger mit der zierlichen ägyptischen Göttin mit der Feder auf dem Kopf vorsichtig zwischen seinen schlanken Fingern. »Eure ägyptischen Anhänger sind echt. Es sind keine Repliken. Das habe ich sofort gesehen. Außerdem habe ich dich beobachtet. Der Parthenon und die Ruinen des Delphi-Tempels waren dir fremd, nicht wahr?«
    »Ja. Ich fühle mich zwar mit Delphi verbunden, aber jetzt weiß ich, dass dieser Tempel nicht mein Tempel war. Zu unserer Zeit stand hier noch der Tempel der athenischen Alkmaoniden, nicht wahr? Dafür fühlte ich mich sehr zum Athener Schatzhaus hingezogen.«
    Eliadis lächelte zufrieden.
    »Kein Wunder, es ist eines der ältesten hier im Heiligen Bezirk.« Er ließ ihre Maat-Kette wieder los und sah wehmütig über die Tempelruine hinweg zum kleinen wiederaufgebauten Gebäude hinunter. »Die Schätze wurden gestohlen oder zerstört. All meine Weihgaben …«
    »Das ist lange her, Nikos. Wir müssen darüber hinwegkommen.« Sie schmiegte sich an ihn. »Was wollte Simon eigentlich mit der Kylix? War sie wirklich so wertvoll?«
    »Ja. Ich denke, dass sie auf ihre Art einzigartig auf der Welt war. So manches Museum hätte einen guten Preis für sie bezahlt. Oder auch Kunstsammler. Der Überfall auf dich und Simon lässt jedenfalls eher auf Kunstsammler schließen, aber die haben das Rennen jetzt endgültig verloren. Und Simon auch.«
    Er griff in seine Hosentasche und holte eine kleine dreieckige Scherbe hervor, die mit schwarzen Ornamenten verziert war.
    Karen betrachtete sie wehmütig. »Warum hast du die Kylix eigentlich oben in den Höhlen versteckt, anstatt sie sofort zu zerstören? Du kanntest doch ihre verheerende Macht.«
    »Natürlich, aber ich hatte meine Gründe. Es war nicht nötig, die Kylix zu zerstören, denn nur eine vollständige Kylix erzürnte Apollon. Ich behielt immer eine Scherbe bei mir – als Pfand.«
    Er legte die letzte Scherbe auf den alten Marmor der Sitzbank, griff nach einem handgroßen Stein, der neben seinem rechten Fuß lag, und reichte ihn Karen.
    »Beende es.«
    Zögernd nahm Karen den Stein und begann erst langsam, dann immer gezielter und schneller auf die Scherbe einzuschlagen.
    Das Tonstück zerbrach in mehrere Teile, doch Karen schlug weiter darauf ein, bis sie nur noch Staub vor sich hatte. Dann griff sie danach und streute ihn in die Luft, wo ein sanfter Wind vom Pleistos-Tal ihn mit sich nahm und zu den alten Felsen hinauftrug.
    »Die Kylix gehört wieder ganz allein dir, Apollon«, murmelte sie, ihren Kopf an Nikos’ Schulter, während er seinen Arm um sie legte und ihre Haare küsste.
    »Er wird uns jetzt hoffentlich nicht mehr zürnen,

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