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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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noch!«, stieß er wütend hervor und zielte auf den Jungen. Doch in dem Moment, in dem er schießen wollte, wurde ihm bewusst, dass er Nikos und Karen schon seit mehreren Sekunden den Rücken zugekehrt hatte.
    Reflexartig drehte er sich um und sah gerade noch, wie Karen ihm den Glaskasten mit der Kylix entgegenschleuderte, und fast gleichzeitig spürte er einen kurzen, starken Schmerz in der Brust, als Nikos’ Wurfmesser sich in seinen Körper bohrte.
    Ungläubig merkte Delvaux, wie seine Beine nachgaben und der Revolver seiner Hand entglitt. Seine Muskeln wollten ihm nicht mehr gehorchen, und nur langsam begriff er, dass er sterben würde.
    Er hörte nicht mehr das tausendfache Splittern von Glas und Keramik, als der Glaskasten mit der Kylix in der Schlucht immer und immer wieder gegen die Felsen prallte und zerschellte.
    Langsam sank er in sich zusammen und verlor das Gleichgewicht. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft zu schreien, als er den Felsen hinunterstürzte.
    Eliadis und Karen rannten zur Felskante und starrten hinunter. Ein Lächeln huschte über Eliadis’ Gesicht, als er seinen Bruder in der Kiefer hängen sah.
    Während Delvaux Yannis über die Klippe gehalten hatte, hatte er Yannis an die Kiefern erinnert, die sie oft gesehen hatten, wenn sie Yannis’ Lieblingshöhle besucht hatten. Er war stolz, dass sein kleiner Bruder es tatsächlich geschafft hatte, sich an einer von ihnen festzuhalten.
    »Yannis! Halte durch! Ich komme und hole dich!«, rief er ihm zu, während Karen ihn zweifelnd ansah. Sie hatte seine griechischen Worte zwar nicht verstanden, aber es war offensichtlich, was er vorhatte.
    »Wir haben kein Seil. Wie willst du …«
    »Wir brauchen kein Seil. Ich werde so zu ihm runter-klettern.«
    »Und dann? Wie willst du ihn hier hochbringen?«
    »Das wird schon gehen. Ich nehme ihn huckepack. Als er kleiner war, haben wir das andauernd gemacht. Er weiß, was er zu tun hat.«
    »Nikos«, kam eine jämmerliche Stimme von unten. »Ich kann mich nicht mehr halten.«
    »Doch! Du schaffst das!«
    Karen warf Eliadis’ Klumpfuß und seinem blutenden linken Arm einen bedenklichen Blick zu. Wie sollte er damit die Felswand hinunter- und mit dem Jungen wieder heraufkommen?
    »Er ist viel zu schwer für dich! Ihr werdet beide abstürzen!«
    »Vielen Dank für deinen Optimismus.« Eliadis bemerkte ihren ängstlichen Blick auf seinen kranken Fuß und griff nach ihrer Hand, als er sich über die Felskante schwang. »Meine stolze und starke Dike«, flüsterte er beschwörend und küsste ihre Hand, ehe sein Kopf hinter den Felsen verschwand. Die Berührung ließ Karen erschauern, und eine Mischung aus Glück und Angst durchflutete sie.
    »Das … das kann nicht wahr sein! Du hast es die ganze Zeit gewusst?«, rief sie ihm fassungslos hinterher, doch Eliadis hatte keine Zeit, ihr zu antworten. Er musste sich auf seinen Abstieg zu Yannis konzentrieren.
    Plötzlich drang Mansfields Stimme wieder zu ihnen hoch.
    »Nikos? Was tust du da! Shit!«
    Hilflos musste er zusehen, wie Eliadis mit nicht allzu großer Vorsicht die Steinwand hinabkletterte. Mehr als einmal rutschte dessen Fuß an dem verwitterten Gestein ab und schickte Steinbrocken die Schlucht hinunter, doch er konnte sich immer wieder fangen. Spitze Kanten zerschnitten ihm die Finger und Arme, aber er spürte den Schmerz nicht. Es zählte nur sein Bruder. Dann war er neben der verkrüppelten Kiefer angekommen und reichte Yannis den rechten Arm.
    »Komm, nimm meine Hand. Ich zieh dich rüber, und du hältst dich an meinem Rücken fest. So wie früher. Hast du verstanden?«
    Yannis saß auf einem gefährlich gebogenen Ast und starrte die Felswand zu Karen hinauf.
    »Ich habe Angst.«
    »Ich weiß. Wir werden es schaffen, hörst du? Gib mir deine Hand!«
    Langsam streckte Yannis seine rechte Hand zu Eliadis aus, während er sich mit der linken an der Kiefer festhielt und das Gewicht verlagerte. Der Ast bog sich bedenklich. Als er knackte, zog Yannis reflexartig seine Hand zurück und klammerte sich wieder am Stamm der Kiefer fest.
    Eliadis winkte mit seiner rechten Hand. »Komm, versuch es noch mal. Wir haben es gleich geschafft.«
    »Ich trau mich nicht.«
    »Verdammt noch mal, gib mir deine Hand!«, herrschte Eliadis seinen Bruder an, der ihm daraufhin zögernd die Hand entgegenstreckte. Im nächsten Augenblick schwang der Junge in der Luft und landete halb auf dem Felsen und halb auf Eliadis’ Beinen. Dieser ächzte, als sie beide nur an seinem linken

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