Der zerbrochene Kelch
machen, Nikos.«
Eliadis spuckte Blut und rief seinem kleinen Bruder einige kurze, harte Worte zu, auf die dieser halb laut wimmernd antwortete.
Delvaux schüttelte den Jungen am Kragen. »Sprecht nicht griechisch miteinander, verdammt noch mal! Ich will wissen, was ihr redet!«
»Yannis kann nur Griechisch, Blödmann! Er ist zu jung für Fremdsprachen. Ich habe ihm nur gesagt, dass er ruhig bleiben soll und dass ihm nichts passieren wird.«
»Das ist aber sehr optimistisch von dir. Schluss jetzt mit dem Gerede. Ich will die Waffe, Karen. Du wirst sie am Lauf anfassen und sie mir bringen.«
Karen warf Nikos hilfesuchend einen Blick zu, aber der hatte den Kopf leicht abgewandt und starrte nur auf den Sand neben seinen Füßen.
»Was ist? Mein Arm wird langsam müde«, sagte Delvaux in Karens Richtung, und tatsächlich senkte sie den Revolver, sicherte ihn und fasste ihn am Lauf an, während sie auf Simon zuging.
»Was gibt mir die Sicherheit, dass du den Jungen nicht trotzdem loslässt?«, fragte sie misstrauisch, während sie langsam näher kam.
»Es gibt keine Sicherheit.«
»Genau. Und deswegen werde ich den Revolver jetzt hier hinlegen und zurückgehen.« Sie befand sich einige Meter vor der Felskante. »Wenn du Yannis fallen lässt, bin ich auf jeden Fall schneller am Revolver. Wenn du aber mit dem Jungen von der Klippe weggehst, überlasse ich dir die Waffe.«
Delvaux’ Gesichtszüge verhärteten sich. Gerade eben noch schien Karen am Boden zerstört, und jetzt stand auf einmal eine bis aufs Äußerste entschlossene Frau vor ihm, die ihn in die Knie zwingen wollte – und konnte. Es war eine Situation, die er nicht kannte. Er überlegte kurz.
»Also gut. Aber du musst noch einen Schritt zurückgehen, sonst wird es nichts mit unserem Deal.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete er Nikos, doch der machte merkwürdigerweise nicht den geringsten Versuch, sein Wurfmesser zu erreichen. Dummkopf. Es würde ihm ein besonderes Vergnügen sein, den Krüppel noch vor Karen umzubringen.
Karen biss sich auf die Unterlippe. Sie glaubte nicht, dass Delvaux sie am Leben lassen würde, wenn er den Revolver hatte. Aber was sollte sie tun? Warum reagierte Nikos nicht? Warum half er ihr nicht? Er hielt sich den linken Arm. Hatte Simon ihn angeschossen? Und wo war Michael? Wie sollte sie Simon allein aufhalten? Wie viel Zeit würde sie noch hinausschinden können, ehe er den Revolver an sich gebracht hätte?
Aber merkwürdigerweise hatte sie keine Angst um ihr Leben. Sie war bereit zu sterben, wenn nur dem Jungen nichts geschah.
Eine schwere Last fiel von ihren Schultern, als sie sah, wie Delvaux Yannis vom Abgrund wegriss und mit wenigen Schritten beim Revolver war. Doch sobald er die Waffe in der Hand hatte, verzog sich sein Gesicht zu einer fiesen Grimasse. Er entsicherte den Revolver und zielte auf ihren Kopf. Karen taumelte zurück, während sie in den dunklen Lauf der Waffe starrte.
»Nicht!«, schrie Eliadis, der aus seiner Erstarrung zu erwachen schien. Sollte er jetzt schon handeln? Er würde nur einen einzigen Versuch haben, denn nach dem Messer greifen und es werfen würde etwa drei Sekunden dauern. Drei Sekunden, in denen Delvaux ausweichen und dann Karen erschießen konnte. Es sei denn, Simon würde ihm für einen kurzen Moment den Rücken zukehren, aber damit war wohl nicht zu rechnen.
Delvaux wandte den Kopf. Dicke Schweißtropfen liefen ihm über die blasse Haut.
»Nein? Sie also nicht zuerst? Na gut, dann eben der Junge.«
Er drehte sich zu Yannis um und stieß den geschockten Jungen mit einem kurzen, harten Fußtritt über die Klippe. Yannis hatte keine Chance. Mit einem schrillen Schrei stürzte er in die Tiefe, und ein schreckliches Echo brach sich in der Kastalischen Schlucht.
Keine zehn Meter unter der Höhle humpelte Mansfield gerade auf einem Felsvorsprung entlang, als eine kleine Steinlawine sich über ihn ergoss und ihn zwang, sich gegen den Felsen zu drücken. Er schien der Kastalischen Höhle schon ganz nahe zu sein.
»Karen? Bist du okay?«
Er stellte sich auf den äußersten Rand des schmalen Felsabsatzes, nur um sofort wieder in Deckung zu gehen, als zwei Schüsse dicht an seinem Kopf vorbeiheulten.
Oben stand Delvaux und schoss, ohne besonders zu zielen, auf den Felsvorsprung, unter dem er Mansfield vermutete, als er plötzlich seinen Augen nicht traute, denn er sah in einer an der Felswand wachsenden Kiefer Yannis in den Ästen hängen.
»Dieser kleine Bastard lebt ja immer
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