Der zerbrochene Kelch
Stattdessen fährt er ohne mich los.« Sie schüttelten einander die Hände. »Dann wird Simon Ihnen bestimmt auch schon gesagt haben, dass ich Nikos heiße. Nikos Eliadis.«
»Ja, ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Sie strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht, während Nikos fasziniert ihre goldene Maat-Kette betrachtete.
»Kommen Sie aus Ägypten?«
»Aus Ägypten?« Karen war für einen Augenblick perplex, doch dann verstand sie, warum er das fragte. »Ach, Sie meinen wegen der Kette. Ich war mal in Ägypten, ja, das stimmt. Aber geboren bin ich in Deutschland.«
Er schien sich über ihre Antwort zu freuen und deutete auf einige Säulen am Fuße des Phlemboukos-Phädriaden-Felsens.
»Möchten Sie heute noch das Athena-Heiligtum besuchen? Oder das Museum? Ich könnte Sie führen.«
Karen schüttelte den Kopf. »Nein, heute nicht mehr. Der Flug nach Athen und die Fahrt durch die Berge waren doch ein bisschen anstrengend für mich. Davon muss ich mich erst mal erholen. Morgen früh will Simon mir dann in Ruhe die Ruinen zeigen.«
Eliadis zog die Stirn in Falten. »Aber er muss doch morgen arbeiten.«
»Zu mir sagte er, dass er den Vormittag frei habe.«
Eliadis gab sich geschlagen. »Dann zeige ich Ihnen dafür morgen Nachmittag das Museum. Einverstanden?«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern wandte schnell den Kopf zum Sandweg, der zum Stadion und zu den Felsen hinaufführte, weil dort etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Es waren drei Jugendliche, die mit ihren Fahrrädern den steilen Weg zum alten Stadion hinauffuhren. Sie mussten kräftig in die Pedale treten, aber sie waren diese Berg-hänge gewohnt. Ein etwa zwölfjähriger Junge mit tief hängender Jeanshose und einem roten T-Shirt und Nike-Turnschuhen fuhr den anderen rasant davon, ehe ein Ruf von der Tempelruine ihn langsamer werden ließ.
Eliadis’ Gesicht verfinsterte sich, als er den Jungen etwas energisch hinterherrief, doch ihr Anführer zuckte mit den Schultern und gab ihm eine kurze Antwort, ehe die drei weiter hinauffuhren.
Karen sah, wie Nikos sich auf die Unterlippe biss. »Sie kennen den Jungen?«
»Yannis ist mein kleiner Bruder, das Nesthäkchen unserer Familie. Ein frecher Rotzlöffel mit zu viel Selbstbewusstsein, dem die schmalen Bergwege keine Angst machen. Eines Tages wird ihm das noch zum Verhängnis werden, wenn er nicht aufpasst.«
Sie hörte Wut und Besorgnis in Eliadis’ Worten mitschwingen und versuchte ihn von den Jungen abzulenken, die für einen kurzen Moment auf dem Weg hinter dem Amphitheater verschwanden.
»Apropos, gibt es hier irgendwo Fahrräder, von denen ich mir eins ausleihen könnte? Ich will damit nicht die Berge hinauf, sondern nur ins Dorf und mir ein paar Dinge zum Abendbrot kaufen.«
Eliadis drehte sich wieder zu ihr um. »Der Kühlschrank ist beinahe leer, nicht wahr? Bitte entschuldigen Sie, aber wir haben vergessen, ihn wieder aufzufüllen. Es hat lange keiner mehr in der Hütte gewohnt. Die Ausgrabungshelfer leben sonst alle im Dorf.«
»Nur Sie nicht?«
»Nein. Ich lebe gern hier in der Hütte neben dem Museum.« Er zeigte auf einen kleinen Schuppen.
»Dort stehen drei Camp-Fahrräder, die jeder benutzen darf, aber sie sind schon ziemlich alt und klapprig. Die Reifen verlieren Luft und müssen leider jedes Mal neu aufgepumpt werden. Ich hätte sie schon längst reparieren sollen, aber ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen.«
»Ist ja nicht so schlimm, wenn die Räder alle eine Luftpumpe haben.«
Eliadis verzog das Gesicht. »Na ja, ich glaube, es gibt nur noch zwei Luftpumpen, aber falls Sie keine finden, sagen Sie Bescheid. Irgendwo werde ich schon eine auftreiben.«
»Vielen Dank.«
Er nickte ihr zu. »Wir sehen uns also morgen Nachmittag? Sagen wir um vierzehn Uhr vorm Museum?«
»Ich freu mich schon drauf, Nikos.«
»Ich mich auch.« Er salutierte kurz mit zwei Fingern und humpelte dann den schmalen Pfad ins Camp zurück, während Karen sich noch mal für eine Viertelstunde auf die Tempelmauer setzte und den Ausblick aufs Tal genoss.
Später ging sie dann zu dem Schuppen und suchte sich ein grünmetallicfarbenes Grecos-Fahrrad aus, dessen Vorderreifen neu aufgepumpt werden musste. Aber zum Glück waren tatsächlich zwei Luftpumpen da, sodass sie sich nach fünf Minuten Arbeit auf den Weg ins Dorf machen konnte.
Der Sandweg mit vielen spitzen Steinen war eine echte Herausforderung für die Reifen und entschuldigte vielleicht, warum sie andauernd
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