Der Ziegenchor
unablässig plaudern hören, wie es das Theaterpublikum tut, und alle sagten: »Macht nichts, wir können uns ja schon mal auf morgen freuen, dann ist Aristophanes nämlich an der Reihe. Nun muß er wirklich wissen, wie man eine Komödie schreibt.« Und anstatt sich um mich zu drängen, während ich an ihnen vorbeiging, hielten sich die Würstchenverkäufer von mir fern und ließen mich an ihnen vorüberziehen, ganz so, wie die Wächter an den Stadttoren vor Aussätzigen zurückweichen.
Philonides versuchte zwar, mich aufzumuntern, doch sah ich, daß er wütend darüber war, einen Verlierer unterstützt und sich lächerlich gemacht zu haben, während sich die Chormitglieder die Kostüme vom Leib rissen und zurück in die Kostümtruhe warfen, als fürchteten sie sich davor, sich irgendeine ansteckende Krankheit von ihnen zu holen. Ich entschuldigte mich lieber und spazierte nachdenklich ins Theater zurück, das inzwischen bis auf die wenigen Sklaven, die für den nächsten Tag die Abfälle zusammenkehrten, ziemlich leer war. Dann setzte ich mich unter die große Dionysosstatue und brach in Tränen aus.
Während ich schluchzend dasaß, hörte ich über mir eine Stimme, und ich wußte, daß sie von der Statue kam.
»Ganz schön schlimm, mein lieber Eupolis«, sagte sie, »aber es kommt noch viel schlimmer. Nein, blick dich nicht um! Du siehst mich noch früh genug, und zwar im Garten hinter der Mauer, wie ich es dir versprochen habe. Das war ein schlechtes Stück, Sohn des Euchoros. Zeig mir beim nächstenmal etwas Besseres, falls du jemals wieder einen Chor bekommst.«
Ich lauschte noch eine Weile, aber es kam nichts mehr, und schließlich stand ich auf und machte mich auf den Nachhauseweg. Die Straßen waren genauso still und verlassen wie an jenem Tag, als ich während der Pest aus dem Stall entkommen war, und das einzige lebendige Wesen, das ich sah, war ein Hund, der mir eine Zeitlang folgte, bis ich einen Stein nach ihm warf.
Als ich zu Hause ankam, erwartete mich Phaidra bereits mit Käse und einem Becher Wein mit Kräutern. Sie versuchte, die Arme um mich zu schlingen, doch ich schob sie beiseite und setzte mich ans Feuer. Ich brauchte Wärme. Phaidra kam, kniete sich neben mir nieder und bot mir den Wein an. Ich stieß ihn beiseite, und der Becher fiel ihr aus den Händen und zerbrach auf dem Boden.
»Nun sei doch bitte nicht so erbost«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Es war ein gutes Stück, wirklich.«
»Nein, das war es nicht!« widersprach ich wütend. »Das war das schlechteste Stück, das jemals geschrieben wurde.«
»Also gut«, entgegnete sie, und ihre Stimme schien aus großer Entfernung zu kommen, »vielleicht hast du recht, ich weiß es nicht. Aber selbst, wenn es so ist, wirst du daraus lernen und nicht noch einmal dieselben Fehler machen. Und nächstes Jahr …«
Ihre Stimme regte mich auf, wie das Summen einer Fliege, und ich wandte mich von ihr ab. Ob Aristophanes womöglich schon feiert? fragte ich mich. Jetzt, da ihm der Preis so gut wie sicher war? Großer Dionysos, betete ich, wenn du mich liebst und mein Schutzherr bist, dann laß Phrynichos gewinnen und nicht Aristophanes.
»Hör mal, das ist nicht das Ende der Welt, das verspreche ich dir«, versuchte mich Phaidra zu trösten. »Wirklich, du bist ein sehr guter Dichter, das ist mein Ernst. Nur weil diesmal…«
Plötzlich war mir furchtbar heiß, und ich zog so heftig an dem Umhang um meinen Hals, daß der Stoff überall um die Spange herum zerriß. Ich zerrte ihn los und warf ihn zu Boden.
»Kannst du nicht einfach mal die Klappe halten, verdammt noch mal?« brüllte ich Phaidra an. »Warum verschwindest du nicht einfach und läßt mich endlich in Ruhe?«
Sie griff hastig nach meiner Hand, aber ich zog sie zurück. Nach einem kurzen Augenblick stand sie von der Stelle auf, wo sie die ganze Zeit gekniet hatte, sagte: »Dann fahr doch zur Hölle!«, ging in den Innenraum und knallte die Tür hinter sich zu.
Am nächsten Morgen ging ich nicht ins Theater, aber am Abend schaute Kallikrates vorbei und berichtete, daß Phrynichos durch einstimmigen Beschluß der zwölf Preisrichter vor Aristophanes gewonnen hatte. Inzwischen kam ich mir vollkommen dämlich und spartanisch vor und brummelte irgend etwas Törichtes vor mich hin wie: Den Göttern sei Dank, daß Athen zwei noch bessere Bühnendichter als mich habe. Kallikrates entgegnete vernünftigerweise überhaupt nichts und erhob sich, um zu gehen.
Ȇbrigens haben wir heute
Weitere Kostenlose Bücher