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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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haben. Keine Sorge, ich erkenne das Kind an. Erwarte nur nicht, daß ich irgend etwas mit ihm zu tun haben will, das ist alles.«
    »Willst du das wirklich so?«
    »Ich glaube, das wäre für uns beide am besten«, entgegnete ich. »Glaubst du nicht?«
    »Doch, mir ist das recht.«
    Ich stand auf, zog mir den Chiton aus, den sie für mich gefertigt hatte, und zog den an, der noch immer mit Ziegelstaub bedeckt war. An sämtlichen Stellen, wo er die Haut berührte, schien er schmerzhaft entlangzuschaben.
    »Ich werde dir Geld schicken, sobald ich in Pallene eingetroffen bin«, sagte ich. »Wenn es dir nichts ausmacht, mache ich mich gleich auf den Weg. Ich habe dort alles, was ich brauche.«
    Ich ging hinaus, ohne mich noch einmal umzusehen, und reiste, ohne haltzumachen, direkt nach Pallene. Dort war man allgemein überrascht, mich zu sehen, und fragte mich wie gewöhnlich, ob meine Frau bei mir sei. Ich sagte, nein, diesmal nicht, und fragte, ob es irgendwelches warmes Essen gebe, da ich nach der beschwerlichen Reise Hunger hätte. Am nächsten Tag schickte ich einen zuverlässigen Mann mit seiner Ehefrau in die Stadt, damit er Phaidra das Geld gab, das ich ihr versprochen hatte, und damit die beiden ihr im Haus Gesellschaft leisteten, falls sie Angst vor dem Alleinsein haben sollte. Außerdem sollten sie ihr ausrichten, sie könne einen Boten zu mir schicken, falls sie etwas wünsche, oder zu Kallikrates, wenn es dringend sei. Phaidra schickte den Mann und seine Frau mit der Nachricht zurück, sie wolle sich lieber ein paar vertraute Leute von ihrem Vater ins Haus holen, falls ich nichts dagegen hätte. Ich blieb ihr eine Antwort schuldig.
     
    Wie ich Ihnen schon erzählt habe, wurde kurz darauf Kleon bei Amphipolis getötet, und die Spartaner sandten eine Botschaft, in der sie den Frieden anboten. Zwar gab es noch in letzter Minute von beiden Seiten das übliche Geplänkel und diverse Wutanfälle, aber am Ende übernahm Nikias, der Sohn des Nikeratos, die Verhandlungen und brachte für fünfzig Jahre den Frieden zurück, zu Land und zur See, nicht lange nachdem Aristophanes mit seinem Stück Der Frieden auf den Städtischen Dionysien den ersten Preis gewonnen hatte. Endlich war der Krieg vorbei.

12. KAPITEL

     
    Als der Frieden geschlossen wurde, war ich einundzwanzig Jahre alt und Mitglied der Reiterklasse – wie sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte aus meinem Grundbesitz nie mehr als vierhundertundsechzig Scheffel Ertrag herauspressen, sei es im festen oder flüssigen Zustand, und Solon hatte aus unerfindlichen Gründen die Untergrenze für die oberste Steuerklasse auf fünfhundert Scheffel Ertrag festgesetzt. Außerdem stand ich kurz davor, Vater zu werden. Ich konnte durchaus damit rechnen, weitere dreißig Jahre oder noch länger zu leben. Meine Familie wurde normalerweise über sechzig, und ich hatte einen Großonkel, der zur maßlosen Empörung seiner Kinder sogar vierundachtzig Jahre alt geworden war. Von seiner Frau getrennt zu leben, war damals für einen Mann nicht so ungewöhnlich, wie man vielleicht vermuten möchte, vor allem dann nicht, wenn er es sich leisten konnte – und abgesehen von dem allgemeinen Klatsch hörte ich nichts mehr von oder über Phaidra. Ich schickte ihr regelmäßig Geld, verbrachte aber die meiste Zeit in Pallene.
    Dort gab es so viel zu tun, daß mir nur wenig Zeit blieb, an etwas anderes zu denken. Sie werden aus dem bislang Geschriebenen ersehen, daß ich mich stets für das Leben und die Zeit des Tyrannen Peisistratos interessiert habe – so etwas kann ich heutzutage natürlich sogar in der Öffentlichkeit sagen –, und wann immer ich jemandem begegnete, der eine Geschichte über ihn parat hatte, sorgte ich dafür, daß sie sie zu hören bekam. Durch alle diese Geschichten festigte sich meine Überzeugung, daß die Athener zu seinen Zeiten dank finanzieller Zuschüsse und Unterstützung seitens des Tyrannen viel mehr attisches Land urbar machten und bebauten als heute. Ich hatte das Gefühl, ein eigenes peisistratisches Programm durchführen zu können, wobei ich die Geldmittel aus meinen fruchtbareren Ländereien einsetzte, um die Rückgewinnung verödeter Gebiete zu finanzieren. Deshalb kaufte und stellte ich Arbeitskräfte ein und machte mich daran, mir Land auf den Berghängen anzueignen, wo immer es genügend Ackerkrume gab, um mir damit die Fingerspitzen schmutzig zu machen.
    Rückblickend war es wohl eine alberne Idee; aber ich war noch jung und suchte

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