Der Ziegenchor
immer, du sparst dir so etwas ausschließlich für die Volksversammlung auf.«
»Schon gut, schon gut«, antwortete Kleonymos mißmutig. »Aber wir kommen vom Thema ab. Kleon hielt dich für einen guten Dichter, Eupolis, und gewiß gehörte es zu seinem Handwerk, so etwas zu wissen. Vielleicht hast du ja die Schnauze vom Theater und dem ganzen Drumherum wirklich voll, und möglicherweise bin ich nur alt und alles in allem nichts mehr als ein lästiger Plagegeist. Aber wie Kleon liegt auch mir die Demokratie am Herzen, junger Mann. Und wenn es keine Stinkstiefel wie ihn und mich gegeben hätte, erhieltest du heute deine Befehle von einem König und dürftest die Hand in der Volksversammlung nicht heben.« Er setzte den Becher ab und beugte sich vor, bis ich das Gefühl hatte, er könnte jeden Moment wie ein Mutterschwein auf mich rollen und mich zerquetschen.
»Du schuldest uns genausoviel, als ob du überall auf deinen neuen Feldern Hypothekensteine von uns beiden stehen hättest«, fuhr er fort. »Ich möchte nicht, daß du das jemals vergißt!«
»Ach, komm… und jetzt verschwinde endlich aus meinem Haus«, forderte ich ihn etwas zaghaft auf.
Kleonymos lächelte und entgegnete gutgelaunt: »Glaub mir, ich bin schon aus besseren Häusern als diesem hier rausgeworfen worden.« Er lehnte sich lässig im Stuhl zurück und fuhr fort: »Ich will dir auch nicht drohen. Wenn ich das vorhätte, würdest du’s sowieso sofort merken. Tatsächlich will ich dich ermutigen. Fang wieder an zu schreiben, mehr will ich gar nicht von dir. Und vielleicht können deine Freunde dafür sorgen, daß du wieder einen Chor zugeteilt bekommst.«
»Danke, aber mit dem Thema bin ich ein für allemal fertig.«
»So? Wie schade. Nun, das ist deine Sache.« Kleonymos stand auf. »Scheu dich aber nicht, Bescheid zu sagen, wenn du deine Meinung geändert hast. In einem Punkt hattest du übrigens recht.«
»Und in welchem?«
»Kleon hat sich wirklich in dir geirrt. Er dachte, du seist intelligent genug, um zu merken, daß er es gewesen war, der dir an dem Abend, als du den Archon aufgesucht hast, den Heerführer gewährt hat. Ehrlich gesagt hatte ich dich auch für so intelligent gehalten. Schade.«
Er stampfte hinaus, stieg auf sein Pferd, ritt in Richtung Stadt davon und ließ mich mit dem Gefühl zurück, als hätte er mir gerade auf den Kopf gespuckt.
Danach war es für mich keine wirkliche Überraschung, als ich etwa einen Monat später ins Prytaneion bestellt wurde. Während des Ritts grübelte ich darüber nach, worum es sich handeln könnte; um eine Art von Bestrafung für meine Undankbarkeit, vermutete ich. Als ich schließlich die Stadttore erreichte, war ich zu der Überzeugung gelangt, daß ich wahrscheinlich an der Reihe war, die Ausrüstung eines Kriegsschiffs oder (noch, wahrscheinlicher) die eines Chors zu bezahlen. Während ich am Theater vorbeiritt, betete ich zu Dionysos, daß man mich nicht dazu zwingen möge, den neuesten Aristophanes zu finanzieren.
Als ich bereits eine Stunde lang auf den Stufen herumsaß und immer noch darauf wartete, vom Rat hineingerufen zu werden, kam ein Mann vorbei, den ich von irgendwoher kannte. Ich lächelte ihn an und versuchte, mich an seinen Namen zu erinnern.
»Hallo, Eupolis!« begrüßte er mich strahlend. »Wie steht’s mit deinen neuen Terrassen?«
»Könnte schlimmer sein«, antwortete ich. Das Gesicht war mir zweifellos vertraut – schmal und sehr hager, mit einer großen Nase und gestutztem Kinnbart. Nach dem grauen Haar zu urteilen, war er Mitte bis Ende Dreißig. »Sind natürlich nicht die Mühe wert, aber was soll’s?«
Er lachte. »Ganz recht. Was tust du eigentlich hier? Will man dich in die Verbannung schicken?«
»Das kann ich auch nur raten«, antwortete ich. »Entweder das, oder es geht um eine Triere oder natürlich um den Schierlingsbecher.«
Er lächelte. »Da würde ich mir keine Sorgen machen«, beruhigte er mich. »Zur Zeit richten wir nur Heerführer hin. Auf jeden Fall wünsche ich dir viel Glück. Egal, worum es sich dabei handelt.« Er winkte zum Abschied und lief elegant die Treppe hinunter. Kaum hatte er das Wort Heerführer in den Mund genommen, war mir klargeworden, daß ich mit dem ruhmvollen Demosthenes gesprochen hatte, Kleons Gefährten in Pylos. Ich war überrascht, warum er mich überhaupt erkannt hatte, ganz zu schweigen von dem Wissen über meine Terrassen, denn soweit ich mich erinnern konnte, hatten wir uns nie zuvor unterhalten,
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