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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sich entsinnen können, war ich Theoros zum erstenmal auf Aristophanes’ Feier und seitdem mehrere Male begegnet, und da er in dem guten Ruf stand, über die meisten Vorgänge im Bilde zu sein, fragte ich ihn, warum man mich für den Einsatz ausgewählt hatte.
    »Ist doch ganz einfach«, antwortete er, als wir auf dem Deck der Salaminia standen und auf Athen zurückblickten, das hinter uns verschwand. »Frag mich lieber etwas Schweres.« Er gähnte gelangweilt, denn er war an Seefahrten gewöhnt.
    »Nun komm schon«, drängte ich ihn. »Dann kann ich endlich gehen und mich hinlegen.«
    »Also gut«, willigte Theoros ein. »Du bist doch Dichter, oder? Und diese ganzen Thessalier und Thraker und Makedonier und ähnliche Einfaltspinsel, die sind nun mal vom Theater besessen. Natürlich ist das nicht so zu verstehen, daß die irgend etwas selbst machen, von denen kann nämlich keiner lesen oder schreiben. Trotzdem kennen sie alle neuesten Stücke auswendig, weil sie sich Athener kommen lassen, damit diese ihnen etwas vortragen. Deshalb überschütten sie einen immer mit diesen auswendig gelernten Reden, und das mit ihren schrecklichen Stimmen. Allerdings kann das sehr komisch sein, weil sie nicht ein Wort von dem Gesagten verstehen. Als ich am Hof des alten Sitalkes war, haben wir uns einfach eine Unmenge des größten Blödsinns ausgedacht, den man je gehört hat, und schworen Stein und Bein, der ganze Mist stamme aus einem unvollendeten Meisterwerk von Aischylos. Den tragen diese armen Irren wahrscheinlich heute noch vor. Ich nehme an, die machen das alles nur, weil sie sich gern als Griechen ausgeben«, sagte Theoros traurig, »aber das wird sowieso nie klappen. Ich meine, die meisten von denen sehen zwar aus wie Griechen, und wenn man sich richtig Mühe gibt, kann man sie sogar dazu bringen, fast wie Griechen zu sprechen, aber im Grunde sind es nur Tiere – wie alle Ausländer.«
    »Einen Augenblick mal«, meldete ich mich zu Wort. »Du meinst, ich befinde mich in diesem Einsatz, weil mal ein Stück von mir aufgeführt würde?«
    »Warum wohl sonst?« fragte er zurück. »Und da praktisch sämtliche Tragiker, von denen sie gehört haben können, entweder zu alt oder… na ja, du weißt schon, nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, Phrynichos sich geweigert hat zu gehen, Amyntas krank und Aristophanes mit seinem nächsten Stück beschäftigt ist und Piaton Zahnschmerzen hat, bleibst nur du übrig.«
    »Glaubst du, die haben von mir gehört?«
    »Das hoffe ich jedenfalls. Wir haben denen ein paar Abschriften von deinem Stück geschickt, das vor einiger Zeit den dritten Platz belegt hat – und natürlich jemanden, der es ihnen vorliest –, deshalb kennen es inzwischen wahrscheinlich alle auswendig.«
    Ich dankte ihm und ging, weil ich mich übergeben mußte. Es war schwierig, Kleonymos und Theoros gemeinsam mit meinem Nachbarn Mnesarchides mit einer Verschwörung gegen mich in Verbindung zu bringen, aber ich bin schon immer der Ansicht gewesen, daß Seereisen Anfälle von Verfolgungswahn fördern, und als wir schließlich in Thessalien anlegten, fühlte ich mich hundsgemein erbärmlich.
    Das Tempetal ist eine der lieblichsten Gegenden, in denen ich je gewesen bin. Dort wird der Lorbeer für die Kränze gesammelt, die den Siegern der Pythischen Spiele verliehen werden, und egal, wo man herkommt, man trifft dort auf eine Landschaft, die vermutlich jedem gefällt. Es gibt imposante Felsen, Berge und Wälder, die sich von allem anderen, was wir in Attika haben, gänzlich unterscheiden, und zu beiden Seiten des Flusses fruchtbare und extensiv genutzte Anbauflächen. Zur Linken liegt der Berg Ossa, der fast senkrecht über die Ebene aufragt, während sich zur Rechten der Olymp höchstpersönlich erhebt. Ich war von dieser Gegend derart bezaubert, daß ich schon fast erwartete, Zeus und Hera auf dem Berghang stehen und mir zuwinken zu sehen.
    Schon bald trafen wir auf die Reiter der Prinzen, die uns nach Larisa begleiten sollten. Wie alle guten Kaufleute hatten auch diese Thessalier ihre besten Waren ausgebreitet, um die Käufer anzulocken, und ich muß gestehen, daß ich von ihrer äußeren Erscheinung beeindruckt war. Es handelte es sich um große Menschen mit riesigen breitkrempigen Lederhüten, die je zwei Speere bei sich trugen und so mühelos auf ihren Pferden saßen, daß ich mich unweigerlich an Kentauren erinnert fühlte; und zwar nicht an diese grotesken Untiere in den Schnitzereien, sondern an die

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