Der Ziegenchor
dann hätte es fürwahr schlimmer kommen können. Irgendwie schien dieser Überfluß aber eine furchtbare Verschwendung zu sein, und am liebsten hätte ich nach einer Möglichkeit gesucht, etwas von dem gebratenen Fleisch in meinem Chiton zu verstecken und es mit mir zurück nach Athen zu nehmen.
Schließlich wurden die abgenagten Rippenstücke abgeräumt, und der Unterhaltungsteil begann. Ich glaube, die unterhalb von uns sitzenden thessalischen Adligen fürchteten ihn genauso wie wir – denn wie man mir erzählt hatte, vertreibe man sich in Thessalien gern die Abende damit, den kleinsten aus der Runde der Anwesenden zu ergreifen, um ihn an eine Säule zu binden und mit Knochen zu bewerfen. Jedenfalls bat Prinz Jason um Ruhe, indem er mit seinem Becher auf den Tisch hämmerte, und das Gebrüll der Stimmen versiegte wie Wasser aus einem durchlöcherten Schlauch.
»Männer von Thessalien«, schrie Jason – und ich freute mich über den Umstand, daß er für die Ansprache an seine Edelmänner wieder seine normale Stimme gebrauchte –, »heute bewirten wir drei ehrenwerte Gäste aus Athen in Attika!« Lauter Jubel und viel Tischeklopfen. »Sie kommen, um unsere Unterstützung in ihrem Krieg gegen die Spartaner von Lakonien zu erbitten. Sie, die zur See unbesiegbar sind und sich unter allen Völkern durch ihre gepanzerten Fußtruppen auszeichnen, ersuchen uns, ihnen Reitereien zu senden. Wie ist eure Meinung dazu?«
Erneut Jubel, Tischeklopfen, Armschwenken und Knochenwerfen. Während dies alles geschah, lehnte ich mich zu Theoros hinüber und fragte ihn, was Jason mit unserem Krieg gegen die Spartaner meine und ob sie nicht von dem neuen Frieden gehört hätten.
»Jetzt stell dich nicht so dumm an«, wies er mich im Flüsterton zurecht. »Die Prinzen wissen das natürlich längst, aber offensichtlich haben sie ihren Leuten noch nichts davon erzählt. Allerdings glaube ich nicht, daß die meisten die Bedeutung des Worts Frieden überhaupt verstünden würden, und die übrigen wären wahrscheinlich dagegen.«
»Ich danke euch, Männer von Thessalien!« rief Jason und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Um die Anwesenheit von drei so edlen Gästen unter uns zu feiern, befehle ich euch allen, euch morgen drei Stunden nach Sonnenaufgang auf dem Zeusfeld zu versammeln. Das ist alles.«
Er setzte sich; verhaltener Jubel, kein Tischeklopfen. »Barbaren!« zischte Jason im Flüsterton und griff sich ein gebratenes Kaninchen, das alle anderen übersehen hatten. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, meine Lieben, welche Belastung es sein kann, unter diesen Barbaren zu leben«, nuschelte er mit vollem Mund. »Wie ich mich danach sehne, Athen wiederzusehen – den Marktplatz, die Nekropolis…«
Alexander kicherte. »Du meinst die Akropolis, du Dummkopf.«
»Das war doch nur ein kleiner Scherz von mir. Du bist der Dummkopf, weil du das nicht mal gemerkt hast«, entgegnete Jason gereizt. Dann drehte er sich um und sprach mich direkt an. »Und natürlich das Theater. Du hast überhaupt keine Vorstellung davon, wie ich mich nach dem Theater sehne.«
Straton trat mir unter dem Tisch gegen den Knöchel, und ich fragte: »Ach, du interessierst dich also für Theaterstücke?«
»Ich lebe für das Drama«, schwärmte Jason, und um seine Aufrichtigkeit zu unterstreichen, hörte er sogar kurz zu essen auf. »Deshalb ist heute der glücklichste Tag meines Lebens. Den großen Eupolis unter meinem Dach zu haben, den größten Dichter seines Zeitalters, ist so, als wenn… Also, wenn ich heute nacht stürbe, wäre das wie die Erhörung eines Gebets.«
Nach der Art zu urteilen, wie Alexander ihn ansah, hätten seine Gebete leicht erhört werden können. Ich nahm einen kräftigen Schluck Wein und dankte dem Prinzen für seine freundlichen Worte. Jason stand auf und verbeugte sich, setzte sich dann wieder und überhäufte mich fortan mit Fragen – ob Euripides wirklich nicht an die Götter geglaubt habe und Moschos tatsächlich so umwerfend sei, wie alle zu glauben schienen, und was Theognis als nächstes schreibe, ob wir von Sophokles noch mehr erwarten dürften, wie Agathon wirklich sei, und ob Phrynichos (den Jason offenbar mit dem alten Tragiker gleichen Namens durcheinandergebracht hatte) jemals in der Lage sei, uns einen Ödipus zu schenken. Ich antwortete so gut ich konnte, doch den größten Teil mußte ich mir aus den Fingern saugen – zumal Theoros und Straton alle diese Männer persönlich kannten und ihnen bestimmt sofort
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