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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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hört. Ich biß die Zähne so fest zusammen wie möglich und hämmerte mit meinem Stock an die Tür, hinter der unverdrossen weitergesungen wurde.
     
    Erhitz den Rost und brat den Fisch,
    Mach die Sardinen knusprig braun,
    (knusprig BRAUN!)
    Komm, Anthrazit, deck unsren Tisch
    Wir feiern bis zum Morgengrau’n!
     
    »Rührend«, murmelte ich vor mich hin, und der Dienstbote öffnete die Tür.
    »Du kommst zu spät, deshalb hat man ohne dich angefangen!« rief er mir zu, um sich gegen den Lärm durchzusetzen. »Weißt du denn nicht, wie man sich in guter Gesellschaft zu benehmen hat?«
    Das machte mir nicht gerade Mut, doch Kallikrates grinste zu uns herüber, und wir traten ein, um mitzufeiern.
    Lassen Sie mich zunächst das Haus beschreiben. Es war überaus luxuriös eingerichtet, mit Wandbehängen, die offensichtlich aus dem Theater abgestaubt worden waren, denn ich erkannte die Hausfront von Chremylos aus den Schmausbrüdern und die Tretmühle aus den Babyloniern wieder. Der Fußboden war frisch bestreut, für jeden Gast waren Liegen und Stühle vorhanden – noch nie hatte ich so viele Stühle auf einem Haufen gesehen –, und das Mischgefäß für den Wein bestand nicht aus Steingut, sondern aus Bronze. Sämtliche Vorratskrüge waren bemalt, die geräucherte Speckseite hing an einer Messingkette über der Feuerstelle, und die Kleidertruhe war aus mit reichen Schnitzereien verziertem Zedernholz gefertigt, das mit ziemlicher Sicherheit importiert worden war. Oben in den Dachsparren erkannte ich Aristophanes’ Schild; auf dem Rand waren Figuren in Relief ausgearbeitet, und auf der Vorderseite, auf die normalerweise eine Gorgone gemalt ist, um den Feind in Angst und Schrecken zu versetzen, prangte ein groteskes Porträt von Kleon, der mitten in einem brausenden Wortschwall den Mund weit aufgerissen hatte. Der Schild wies außerdem keinerlei Spuren von Beschädigungen auf, ein Beweis, wie intensiv der furchtlose junge Dichter tatsächlich als Soldat gedient hatte. Der Rest seiner Ausrüstung hing über einer altmodischen Hermesstatue in der Ecke des Raums, von deren aufgerichtetem Phallos ein Schwertgehenk baumelte und um deren Stirn unter dem (so gut wie nie getragenen) Helm drei Siegerkränze gewunden waren.
    Wenn dieses Haus Philodemos’ Heim bereits zu einer armseligen Hütte degradierte, so bekam ich bei der anwesenden Gesellschaft erst recht das Gefühl, mein bisheriges Leben unter Stallknechten und Fischhändlern verbracht zu haben. So waren nicht nur alle Gäste erschienen, von denen man mir berichtet hatte, sondern zusätzlich Philonides, der beste Chorleiter Athens; Moschos, der Flötenspieler (der, man glaubt es kaum, eigens zur Unterhaltung der Gäste verpflichtet worden war); und neben dem Gastgeber lag mit ausgesprochen gelangweiltem Blick der berühmtberüchtigtste Mann von ganz Athen, nämlich Alkibiades.
    Sie können sich vorstellen, welchen Eindruck das auf mich machte, nachdem ich vorher schon vor Angst wie gelähmt war und kaum noch sprechen konnte. Aber eine innere Stimme ermahnte mich, stark zu sein, als stünde ich einer Reiterschwadron oder einem ausgehungerten Bär gegenüber. Ich trat also vor und überreichte das mitgebrachte Essen mit einem bescheidenen Lächeln. Kleisthenes der Abartige mußte das Wort ›Bratdrossel‹ gehört haben, denn er lehnte sich zurück, ohne den Kopf zu wenden, schnappte sich einen der Vögel von der Platte, schob ihn in den Mund, zermalmte ihn krachend mit den Zähnen und spuckte die Knochen aus, wobei er kein einziges Mal die äußerst spannende Geschichte unterbrach, die er gerade erzählte. Offenbar bestand die Kunst, ein vornehmer Mann zu sein, nicht allein darin, Archilochos’ Werke fehlerfrei vortragen zu können.
    Aristophanes erhob sich lässig und umarmte mich, wobei er mir ins Ohr flüsterte: »Wenn du nur ein Wort über diese verdammte Ziege sagst, bringe ich dich um.« Dann schlug er mit einem Krug auf den Tisch, um Ruhe einkehren zu lassen, und stellte mich mit den Worten vor: »Das hier ist Eupolis, Sohn des Euchoros von Pallene.« Mehr fiel ihm anscheinend zu mir nicht ein.
    Während mich alle Gäste musterten, herrschte beschämendes Schweigen. Ich zwang mich zu einem Lächeln, und Alkibiades kicherte nur.
    »Und das hier ist Euripides, der Dichter, dies Theoros, der Politiker, und hier haben wir Sokrates, den Sohn der Weisheit«, fuhr Aristophanes fort, indem er mir der Reihe nach die Namen sämtlicher Gäste nannte, als hätte er es mit

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