Der Ziegenchor
einem Trottel oder Ausländer zu tun, der noch nie in der Stadt gewesen war und die Akropolis für einen öffentlichen Getreidespeicher hielt. Nicht zum ersten- oder letztenmal hätte ich Aristophanes mit Vergnügen umbringen können.
Ich nahm auf der letzten Liege Platz und versteckte mich hinter meinem Sitznachbarn Theoros, den ich nur sehr flüchtig kannte. In den Acharnern hatte ihn Aristophanes wie einen Dummkopf aussehen lassen, und da Theoros darüber noch immer etwas verärgert war, dachte ich mir, er könnte ein Verbündeter sein. Als er den Becher an mich weiterreichte, flüsterte ich ihm deshalb zu: »Edler Theoros, warum, um Himmels willen, bin ich eigentlich zu diesem Fest eingeladen worden? Alle diese exotisch wirkenden Menschen… Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie in solch merkwürdiger Gesellschaft befunden.«
Theoros lachte; er war ein dicker Mann und schien am ganzen Körper zu beben. »In gewisser Weise verstehe ich das als ein Kompliment«, prustete er, während er den Becher wieder von mir entgegennahm und dabei seinen Chiton mit Wein bekleckerte. »Unser Gastgeber hat von dir gehört.«
»Von mir?« fragte ich erstaunt.
»Was erwartest du denn sonst, wenn du überall herumläufst und jedem, der bereit ist, dir zuzuhören, deine Chöre und Dialoge vorträgst?« fuhr Theoros gähnend fort. »Am meisten hat der Sohn des Philippos über dein Stück Die Heerführer erfahren, und zwar von allen möglichen Leuten, und ich glaube, du paßt ihm nicht in den Kram. Deshalb mach, was du willst. Betrink dich, zerschlag die Tische, zünde Sokrates’ Bart an, egal was, aber trag um Himmels willen keine Reden aus den Heerführern vor, oder du wirst bei der Aufführung deines Stücks feststellen müssen, daß die Zuschauer die eine oder andere Rede nur leicht verändert schon vorher gehört haben.«
Ich war fassungslos. »Du meinst, er würde sie mir klauen?«
»Wenn du Glück hast, ja«, bestätigte Theoros. »Und dann ließe er durchsickern, daß du ihm die Rede auf diesem Fest geklaut und seine Gastfreundschaft wie ein Thebaner mißbraucht hast. Solltest du allerdings Pech haben, wird der dein Stück natürlich parodieren. In dem Fall wirst du zwar Lacher einheimsen, allerdings nicht die, die du dir vorgestellt hast. Ich glaube, deinen Witz über die Aale hat er sich schon unter den Nagel gerissen.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich bitterböse oder zutiefst geschmeichelt sein sollte, doch meine innere Stimme riet mir, mich lieber geschmeichelt zu geben, und deshalb lächelte ich. Offensichtlich hatte ich mich ganz richtig verhalten, denn Theoros rückte ein Stück näher an mich heran und fuhr fort:
»Falls du es Philippos’ Sohn heimzahlen willst, dann sieh zu, ob du nicht irgendeinen Vorwand findest, die Geschichte von den Ziegen auf dem Hymettos zu erzählen, weil wir die alle einfach brennend gern hören würden.« Dann schien ihm etwas einzufallen, und er fügte rasch hinzu: »Nein, tu das lieber nicht, und erzähl sie einfach mir, und zwar leise.«
Ich erzählte sie ihm, und er brach erneut in schallendes Gelächter aus. Inzwischen war zwar kein Essen mehr da, aber der kleine Zeus und Kallikrates (der sich als mein Diener ausgab, damit er bleiben und das Fest beobachten konnte) hatten meine Teller und Platten gerettet. Die Flötenspielerinnen traten auf und begannen zu spielen. Das Fest konnte also richtig anfangen.
Ich weiß nicht, ob Sie oft diese Art von Festen besuchen; sollte das der Fall sein, werden Sie wissen, worum sich das Gespräch dreht, bevor der Wein allmählich die Oberhand gewinnt. Zunächst sind das alles sehr adlige Themen: ›Als ich in diplomatischer Mission nach Mytilene unterwegs war‹ und ›Der größte Bär, den ich jemals erlegt habe, als wir auf Kreta jagten‹ oder ›Das war in dem Jahr, als Alexikakos das Wagenrennen in Delphi gewonnen hat – das werde ich nie vergessen! ‹ Hier waren Theoros und Kleisthenes der Abartige in ihrem Element, obwohl natürlich Alkibiades immer das letzte Wort hatte. Dann gab Aristophanes dem Dienstboten das Zeichen, das Verhältnis von Wein zu Wasser in dem Mischgefäß zu erhöhen, und nach einer Weile unterhielt sich alles wie toll über die Götter und den Zustand des Justizwesens. Der Wissenschaftler Sokrates und Euripides begannen eine private Redeschlacht für zwei Personen, und nach und nach verstummten alle anderen und hörten zu. Ich für meinen Teil hatte beide Ohren gespitzt, da dieses Gespräch genau das
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