Der Ziegenchor
Gesellschaft der Reiterklasse zu bewegen begann, war der kleine Zeus im großen und ganzen ein Gewinn für mich. Ich hatte mich nämlich in sehr kurzer Zeit über die Freunde von Kallikrates und Philodemos, die Fußsoldaten waren, hinausentwickelt und wollte die Männer, die ich in meiner Komödie beschimpfte, unbedingt persönlich kennenlernen; Politiker wie Kleon und Hyperbolos und deren Anhänger Theoros und Kleonymos; die Tragiker Agathon und Euripides sowie die bösen und verdorbenen Wissenschaftler, Männer wie Sokrates und Chairephon, wobei letzterer im Ruf stand, ein Blutsauger zu sein.
Natürlich kannte ich all diese Menschen schon vom Sehen und hatte sie auch mit Namen auf dem Fischmarkt oder in den Propyläen gegrüßt, aber das war nicht das gleiche, wie mit ihnen aus demselben Becher zu trinken oder gemeinsam zu singen. Wenn ein Komödiendichter einen lebenden Zeitgenossen auf die Bühne bringt, ist es für ihn unbedingt erforderlich, die Ausdrucksweise des Betreffenden exakt wiederzugeben und in der Lage zu sein, den Darstellern die jeweils typische Geste des Vorbilds genau beizubringen. Diesbezüglich kann die eingehende Beobachtung durch nichts ersetzt werden; Kleon schreien oder Alkibiades lispeln lassen kann jeder, aber was das Publikum zum Lachen bringt, ist die Art, wie sich Kleon jedesmal mit der Hand den Staub wegwischt, bevor er sich hinsetzt, und Alkibiades’ Angewohnheit, elegant nach hinten über die Schulter zu niesen.
An das erste Fest von wirklich hohem Ansehen, das ich besuchte, erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen. Es wurde von Aristophanes zur Feier seines Siegs mit dem Stück Die Acharner veranstaltet – eine wirklich furchtbare Komödie, die Sie sich durchaus schenken sollten, falls Sie in einer dieser Mischungen aus Theater und Rinderpferch in den entlegenen Gegenden Attikas auf eine Wiederaufnahme dieses Stücks stoßen, wo immer noch ab und zu alte Stücke für Leute inszeniert werden, die nicht in die Stadt kommen können. Jedenfalls war ich mir damals durchaus nicht im klaren, ob ich dort hingehen sollte oder nicht, weil ich an meine früheren Begegnungen mit diesem Ehrenmann denken mußte. Als allerdings an jenem Morgen ein Dienstbote an unserer Haustür erschien und die Nachricht überbrachte, Eupolis von Pallene möge sich bei Einbruch der Dunkelheit zum Haus von Aristophanes, Sohn des Philippos, begeben und etwas zu essen mitbringen, konnte ich dieser Einladung nicht widerstehen – erst recht nicht, als ich hörte, wen der Dienstbote sonst noch zum Fest einladen sollte.
»Ich habe bereits bei Theoros vorgesprochen, und er hat zugesagt«, berichtete der Dienstbote. »Ich bin auch bei Sokrates, dem Wissenschaftler, gewesen, und auch er hat versprochen zu kommen. Als nächstes schaue ich bei Euripides, dem Dichter, vorbei, der bestimmt an der Feier teilnimmt, nach dem, was ihn mein Herr in der Komödie sagen läßt, und Kleisthenes der Abartige wird die Einladung wahrscheinlich annehmen, weil er gern in Theaterstücken vorkommt und in die nächste Komödie eingebaut werden will.«
»Und warum werde ich eingeladen?« fragte ich und fügte hinzu, während ich einen Becher Wein einschenkte: »Na, komm schon, mir kannst du das sagen.«
»Mein Herr hat mir nur aufgetragen, dich einzuladen, also habe ich seine Anordnung befolgt. Auf dein Wohl«, antwortete der Dienstbote und trank schnell den Becher aus. »Aber jetzt muß ich weiter.«
Also machte ich mich an diesem Abend mit Kallikrates und dem kleinen Zeus als Beistand auf den Weg zu Aristophanes’ Haus. Ich nahm zwei herrliche Seebarsche in einer kräftigen Sahnesoße mit, einen Korb Weizenbrot und zwölf Bratdrosseln, die der kleine Zeus am vorhergehenden Tag eingefangen hatte. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was uns erwartete, und das Herz schlug mir vor Aufregung bis zum Hals.
Den Gesang konnte man die halbe Straße hinunter hören:
Wir rufen unsre Muse an
Die schöne Göttin Anthrazit
Die Glut facht unsre Seelen an
Die Hitze schürt den Appetit
Das war natürlich die Anrufung der Musen aus den Acharnern, und die laute und ziemlich unmelodische Stimme, die den Gesang anführte, war unverkennbar die des Dichters selbst, den ich damals die Hymne auf Harmodios in der Serenadenbande hatte singen hören. Eines Tages, ging es mir durch den Kopf, wird man zur Feier eines Erfolgs etwas von mir singen, und der kleine Zeus wird den Text dann so laut hinausschreien, daß man ihn noch in Korinth
Weitere Kostenlose Bücher