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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sie.
    »Entschuldigung.«
    »Das war mein Ohr.«
    Ich zog den Arm weg und legte ihn aufs Kopfkissen. »Jetzt ziehst du mich an den Haaren«, klärte sie mich auf. »Ist das etwa deine Art, ein Mädchen in Stimmung zu bringen?«
    »Vielleicht sollten wir wieder die Lampe anzünden«, schlug ich vor.
    »Nein«, widersprach sie entschieden. »Lieber nicht.«
    »In Ordnung.«
    »Über das ganze Bett sind Rosenblätter verstreut«, stellte sie nach einer Weile fest.
    »Aber das ist doch ein alter Brauch, oder?«
    Phaidra rümpfte die Nase. »In deiner Familie vielleicht«, bemerkte sie schnippisch. »Kannst du die Dinger nicht wegwischen oder irgendwas anderes damit machen?«
    »Warte, ich zünde die Lampe an.«
    »Wie du willst.«
    Im Umgang mit Feuersteinen und Zunder habe ich mich schon immer dumm angestellt, und als ich die Lampe endlich zum Brennen gebracht hatte, spürte ich, daß mir in diesem Raum eine deutlich feindselige Atmosphäre entgegenschlug. »Also, dann wollen wir uns mal um diese Rosenblätter kümmern«, schlug ich vor.
    »Ach, vergiß es«, seufzte sie und warf die Arme um mich, als würde sie sich wie ein Schwimmer auf den Sprung ins kalte Wasser vorbereiten. In diesem Moment war mein Mund geöffnet, und ich spürte, wie ihr Kinn auf meinen Zähnen landete. Sie stieß mich zurück und stöhnte: »Du meine Güte! Du bist so etwas von ungeschickt… Was machst du eigentlich?«
    »Entschuldigung«, murmelte ich. Mein Mund schmerzte an der Stelle, wo Phaidra meine Lippe gegen meine unteren Schneidezähne geknallt hatte, und als sie mich küßte, zuckte ich zusammen.
    »Jetzt reicht’s mir!« zischte sie und verschränkte die Arme über der Brust.
    »Sei doch nicht so«, bat ich; aber aus irgendeinem Grund war ich ziemlich erleichtert, genau wie ich mich gewöhnlich gefühlt hatte, wenn der Lehrer sagte: ›Du weißt es offenbar nicht, oder? Setz dich! Dann wollen wir es von jemandem hören, der es weiß.‹ Genau in diesem Augenblick hatte Phaidra etwas an sich, das nicht gerade einladend auf mich wirkte.
    »Mir sind im Leben schon einige Tölpel begegnet, aber du bist so ziemlich der schlimmste, weißt du das?« fauchte sie mich an. »Man stelle sich das nur mal vor: Das hier sollte der glücklichste Tag meines Lebens werden. Ein Witz ist das!«
    »Entschuldigung.«
    »Du bist ein Jammerlappen!« Sie stieß die Luft durch die Zähne aus. »Und mach um Himmels willen den Mund zu. Du siehst aus wie ein toter Thunfisch.«
    »Oh…«
    Phaidra fuhr mit geschlossenen Augen fort: »Und was sollte das vorhin, mich so durch die Tür zu zerren? Jedem einigermaßen vernünftigen Mensch wäre klar gewesen, daß ich mit den Füßen an der Türschwelle hängenbleiben mußte, besonders mit diesen albernen Sandalen, die ich auf Druck deiner Familie anziehen mußte. Und jetzt wird jeder sagen, ich bringe Unglück ins Haus, und die Mägde werden mir die Schuld geben, wenn die Milch sauer wird.«
    »An diesen ganzen Blödsinn glaube ich sowieso nicht«, besänftigte ich sie.
    »Aber ich!« erwiderte sie scharf. »Ich nehme an, du glaubst nicht mal an die Götter.«
    »Doch, das tu ich.«
    »Da ist mir aber etwas ganz anderes zu Ohren gekommen. Ich habe nämlich gehört, daß du dich mit diesem Euripides herumtreibst, der glaubt, die Götter wären alle irgendeine Art Geisteszustand oder so was, und Helena von Troja wäre vor dem Trojanischen Krieg nach Ägypten weggezaubert worden. Absoluter Quatsch.«
    Allmählich hatte ich das Gefühl, daß ich an irgendeiner Stelle etwas nicht mitbekommen hatte. »Was hat denn Helena von Troja jetzt damit zu tun?«
    »Glaubst du an die Götter oder nicht?«
    »Natürlich glaube ich an die Götter. Phaidra, heute ist übrigens unsere Hochzeitsnacht.«
    »Ach, das hast du also wirklich gemerkt, ja? Das ist ja toll.«
    Ich legte ihr meine Hand auf die Schulter, die Phaidra gleich darauf angewidert mit Zeigefinger und Daumen ergriff, als entferne sie eine Spinne.
    »Und welcher Ehemann wird an seinem Hochzeitstag zum Militärdienst einberufen?« fuhr sie fort. »Ich konnte das gar nicht glauben, als man mir das erzählt hat. Ich hielt das Ganze wirklich für einen schlechten Witz.«
    »Das ist ja wohl nicht meine Schuld, oder?« wehrte ich mich. Ich hatte ein Gefühl, als ob ich mich gleichzeitig mit fünf verschiedenen Menschen stritte, und zwar jeweils über ein anderes Thema.
    »Also, eins sollten wir jedenfalls ein für allemal klarstellen.« Sie ließ nicht locker. »Bis du

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