Der Ziegenchor
auftretende und unerklärliche Geräusche (die wir nach und nach als Bestandteil der Lebensweise auf Samos hingenommen hatten) gestört worden war, und machten uns daran, Steine für die Gedenkstätte zu hauen. Doch als wir den Marktplatz überquerten, stießen wir auf eine kleine Gruppe abgekämpft aussehender Samier, die an kurzen Zügeln einige Maultiere mit sich führten. Auf den Rücken der Maultiere waren Krüge geschnallt, die von Silbermünzen überquollen. Wir schütteten sie auf Decken aus und begann zu zählen, wobei allein der Anblick der verschiedenen Münzbezeichnungen und Verzierungen schon das reinste Vergnügen war. Es gab athenische Eulen und äginetische Schildkröten, Pferde aus Korinth und Karthago, Löwen aus Leonidion und Arethusen von Syrakus; da waren Aiasse von der opuntischen Lokris, die erst wenige von uns zuvor gesehen hatten, und einige sehr schöne Münzen mit Tauben, die niemand identifizieren konnte. Es waren sogar persische Sigloi dabei, in die der als Bogenschütze gekleidete König eingeprägt war und die aus der Zeit vor den Kriegen stammen mußten, als Samos noch Teil des Persischen Reichs gewesen war. Uns kam es wirklich so vor, als ob einige Samier sehr tief in uralten Reserven gegraben hätten, um für uns das ganze Silber aufzutreiben. In einigen Fällen sogar ein bißchen zu tief, denn als wir die Schlußabrechnung machten, stellten wir fest, daß wir etwas über zwölf Stater mehr pro Mann als die erforderliche Summe hatten. Aber zu dem Zeitpunkt waren alle die Silbermünzen so gründlich miteinander vermengt, daß man unmöglich sagen konnte, welcher Dorfbewohner zuviel bezahlt hatte. Da es unter den Nachbarn außerdem unzweifelhaft Verstimmung hervorgerufen hätte, wenn wir die Sache zu klären versucht hätten, entschieden wir uns, das Ganze zu vergessen und den Überschuß als eine Art anonymes Geschenk anzunehmen.
Der Taxiarchos füllte das gesamte Geld wieder in die Krüge und ließ jeden einzelnen mit einem Bleisiegel verschließen. Dann ließ er den Dorfobersten herbeirufen, der diesmal ein bißchen bereitwilliger kam, und ließ ihn wie tags zuvor auf den Marktplatz Platz nehmen. Inzwischen hatte sich eine ganze Schar Samier versammelt, um das Geld zu sehen, und der Taxiarchos ließ uns vor den Krügen antreten, bevor er zu sprechen begann.
Zunächst legte er das Geständnis ab, daß er bis jetzt keine hohe Meinung von der samischen Treue gegenüber Athen gehabt habe. Wie er weiter ausführte, habe sich in seinem Kopf die Ansicht festgesetzt, daß die Samier nicht bereit seien, ihren Beitrag zu den Kosten des großen Kriegs für die Freiheit zu leisten, und daß – Zeus bewahre! – die rechtschaffenen Männer von Samos vergessen hätten, wer sie aus dem persischen Joch erlöst und ihnen ihre alten Freiheiten und Privilegien zurückgegeben hatte. Aber nun sei die Zeit gekommen, fuhr er fort, diese Meinung zu ändern. So habe er von diesem wahrheitsliebenden alten Mann, ihrem Dorfobersten, erfahren, daß die ganze Nacht hindurch führende Bürger aus allen Dörfern der Umgegend über tückische Bergpfade gewandert seien, nur um ihre Steuern bezahlen zu können, und das, obwohl sie zweifellos den ganzen Weg über von den schrecklichen Banden von Räubern und Geächteten beschattet worden seien, mit denen er selbst Erfahrungen habe machen müssen. Solch ein Verhalten, sagte er, schreie geradezu nach Anerkennung und strahle wie ein Leitstern in einer ansonsten treulosen und undankbaren Welt.
Er lächelte und verbeugte sich leicht in Richtung des Dorfobersten, der nervös auf seinem Platz hin- und herrutschte. Gestern (fuhr der Taxiarchos fort) habe er mit seinem Freund, dem Dorfobersten, seine Pläne zum Bau einer kleinen Gedenkstätte für einen einheimischen Helden besprochen. Eine Weile habe er befürchtet, das Zusammenzählen der Steuergelder werde ihm keine Zeit zum Bau der Gedenkstätte lassen, aber da nun alles so rasch bezahlt worden sei und sich jetzt so viele kräftige Männer auf dem Marktplatz versammelt hätten, könne er keinen Grund sehen, warum das Heiligtum nicht doch noch gebaut werden solle. Es sei jetzt keine Zeit mehr, bedauerte er, einen Boten in die Städte zu schicken, aber das könne man sicherlich später nachholen, nachdem er gegangen sei.
Das war unser Stichwort, die Schwerter zu zücken und einen grimmigen Blick aufzusetzen. Aus irgendeinem Grund leisteten die Samier den ganzen Tag über und im Schein der Fackeln, die wir für sie
Weitere Kostenlose Bücher