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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Speerhagel kam ein gutes Stück zu kurz herunter. Als wir schließlich atemlos, aber zufrieden stehenblieben, da unsere Ehre vollkommen wiederhergestellt war, stellten wir fest, daß nur noch zwei der Samier da waren. Bloß zwei, niemand mehr.
    Wie ich später erfuhr, war ein Mann, der Sohn eines Fußtruppenversorgers, ausgerutscht und hatte sich den Knöchel verstaucht, und sein Geliebter war bei ihm geblieben, um ihn nötigenfalls bis zum Tod zu verteidigen. Natürlich war der Beschützer höchst aufgeregt, zumal er einen der wenigen richtigen Speere der ganzen Gruppe besaß. Ich kann mir gut vorstellen, wie er nun seinen Speer in die ungefähre Richtung des Taxiarchos streckte und zu seiner Unterstützung irgendeinen unbekannten einheimischen Helden anrief.
    Vermutlich wäre nichts weiter geschehen, wenn der Taxiarchos nicht noch immer an die Existenz der Steuergelder geglaubt hätte. So, wie die Dinge standen, wollte er einen Gefangenen haben, den er verhören konnte, und er schickte zwei Männer vor, um die beiden Samier zu schnappen. Der Mann mit dem verstauchten Knöchel machte eine bemerkenswerte Genesung durch und rollte in Windeseile den Berg hinab. Aber unsere Männer waren dem anderen hart auf den Fersen. Statt allerdings seinem Freund zu folgen, wich er unseren Männern aus und rannte vorwärts, und zwar direkt auf mich zu. Der kleine Zeus, der sofort die tödliche Bedrohung für seine zehn Morgen Land erkannte, sprang dazwischen und ging wie wild mit dem Schwert auf ihn los. Zuerst schlug er den Weidenschild in Stücke und schnitt dann ein Stück aus dem Arm seines Gegners heraus. Das war ein Fehler. Der arme Samier warf sich herum und stieß mit dem Speer nach dem kleinen Zeus, der natürlich keinen schützenden Schild hatte. Der kleine Zeus sprang mit einem Satz nach hinten, um außer Reichweite des Speers zu gelangen, stolperte dabei aber über die eigenen Füße und stürzte mit voller Wucht auf den Hintern. Der Samier riß seinen Speer weit über den Kopf und holte zum Stoß aus – und ich erstach ihn.
    Ich konnte nicht glauben, daß ich das getan hatte. An meinem Speerende hing dieser menschliche Körper, der mich mit solch äußerstem Erstaunen ansah, daß ich den Drang verspürte, einfach nur zu lächeln, um mich dann wie jemand, der auf der Straße in etwas Ekliges getreten ist, vorsichtig umzudrehen und mir die aus seiner Seite hervorstehende Speerspitze anzusehen. Einen Moment lang dachte ich wirklich, er werde gleich nach mir schlagen. Erst dann wurde mir bewußt, daß er bis auf die Tatsache, von einem Speer durchbohrt worden zu sein, alles vergessen hatte. Ich glaube nicht einmal, daß ihm der Speer sonderlich weh tat, er hatte das bloß überhaupt nicht erwartet.
    »Du Idiot!« hörte ich mich sagen. »Ehrlich, tut mir leid.«
    Ich glaube, er wollte lachen, aber dann brach er auf einmal zusammen, als ob er gemerkt hätte, daß er sich für seinen eigenen Tod zuviel Zeit gelassen hatte. Sein Gewicht riß mir den Speer aus der Hand, und der Körper sackte zu Boden. Da war auch Blut – sehr viel Blut –, wie Wellen am Strand kroch es an dem Stoff seines Chitons entlang, allerdings zog es sich nicht wieder zurück. Ich habe einmal einen Krug Honig zerbrochen und stand da und sah zu, wie sich der herausquellende Honig mit dem Staub auf dem Boden der Vorratskammer vermengte, wie er direkt vor meinen Augen ungenießbar wurde und somit kostspielig verdarb. Ja, da war wirklich Blut, und wie dunkel es aussieht, wenn eine Menge davon da ist. Für jemanden, der mühsam seinen Homer Zeile für Zeile gelernt hat, war das ein faszinierender Anblick, und, ja, diese Art Blut ist schwarz, nicht rot, genauso, wie es in der Hias heißt, und ein toter Mann fällt tatsächlich mit einem dumpfen Aufprall, und er sieht mit seinen wie Zweige ausgebreiteten Armen wirklich fast wie ein gefällter Baum aus. Zudem erweckt er eher den Eindruck eines Mannes, der nur gestolpert ist – er hat kurzes schwarzes Haar und lange dünne Beine sowie ein Muttermal am Hals, und man fragt sich, warum er nicht aufsteht.
    Dann fing der kleine Zeus an, mich mit erhabener Stimme zu rühmen, mir zu danken, daß ich ihm das Leben gerettet hätte, und mir und meinem Haus seine ewige Treue und die seiner Kinder und Kindeskinder zu geloben. Ich drehte mich daraufhin um und trat ihm gegen das Schienbein. Der Taxiarchos fragte: »Um Himmels willen, was ist da eben vorgefallen?«, und Artemidoros beschwerte sich darüber, daß wir von nun

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