Der Ziegenchor
hielten, noch bis spät in die Nacht hinein Schwerstarbeit. Es war eine hübsche kleine Gedenkstätte, als sie fertig war, mit einem schrägen Dach aus Ziegeln, zu deren Bereitstellung sich der Dorfoberste durch die Abdeckung seines eigenen Dachs veranlaßt sah, und mit einem entzückenden, von einem ortsansässigen Maler ausgeführten Gemälde von der Plünderung des Dorfs durch die Milesier. Wir weihten das Heiligtum nach altem Brauch mit Hymnen und einer kleinen Prozession vorschriftsmäßig ein und opferten zur Musik von Flöten und Harfen zwei weiße Kitze, die ebenfalls Eigentum des Dorfobersten waren. Es wurde auch getanzt und eine bescheidene Menge Wein gereicht. Jedenfalls amüsierten wir Athener uns kolossal, auch wenn die Samier die Feierlichkeit dieses Ereignisses viel stärker zu empfinden schienen als wir.
Ich würde gern glauben, daß die kleine Gedenkstätte noch immer dort hoch oben in der wilden Landschaft von Samos steht. Aber als wir über die Berge davonmarschierten, sahen wir aus der Ferne vom Marktplatz eine Rauchfahne aufsteigen; und als wir stehenblieben und genauer hinsahen, erkannten wir, daß die Gedenkstätte in Flammen aufgegangen war. Ich kann mir nur vorstellen, daß irgendeiner der in tiefer Andacht versunkenen Dorfbewohner im Übereifer das Altarfeuer zu hoch mit Kohlenstaub bedeckte und die heilige Flamme die Dachsparren in Brand setzte.
9. KAPITEL
Als ich ein Junge war, stimmte irgend etwas mit meinen Augen nicht – nichts Ernsthaftes, selbst heutzutage ist meine Sehkraft noch fast vollkommen –, und mein Vater, der furchtbare Angst vor Krankheiten hatte, pflegte mich zum Haus einer schrecklichen alten Frau zu bringen, die im Nachbardorf wohnte. Sie behauptete, alle Krankheiten durch eine Kombination aus starken Kräuterwickeln und Gebeten zu einer der weniger verehrten Gottheiten zu heilen; obwohl ich bis zum heutigen Tag glaube, daß die von ihr erzielten Heilerfolge allein auf die Angst zurückzuführen waren, die ihre Heilmethoden bei den Patienten hervorriefen. Jedesmal, wenn wir wieder von ihr fortgingen, mein Vater um ein Vier-Drachmen-Stück ärmer und ich mit so geröteten und schmerzenden Augen, daß ich kaum die Sonne sehen konnte, schlug er mir gutgelaunt auf die Schulter und sagte: »Na, das war doch gar nicht so schlimm, oder?« Und ich antwortete dann stets: »Nein, so schlimm war’s nicht«, und murmelte die inständige Bitte vor mich hin, die Götter sollten mich endlich erblinden lassen, um mir eine weitere Heilbehandlung zu ersparen.
Meine erste Kostprobe vom Soldatendienst hingegen war eigentlich gar nicht so übel ausgefallen, und ich war beinahe traurig, daß er vorbei war. Meine Waffen und die Rüstung waren heil geblieben, für die Rettung des Lebens eines Mitbürgers wurde mir vom Taxiarchos ein ziemlich billig wirkender Lorbeerkranz überreicht, den ich allerdings trotz gewisser Vorbehalte deutlich sichtbar trug, als ich über den Marktplatz zurück zu meinem Haus schlenderte. Natürlich hatte ich zudem neun oder zehn neue Busenfreunde gewonnen. Wir hatten uns unsterbliche Freundschaft geschworen, wie es bei der Armee nun einmal Brauch ist, doch habe ich die meisten von ihnen niemals wiedergesehen. Der einzige, mit dem ich mich überhaupt noch regelmäßig traf, war Artemidoros, der Veteran. Da er mein Nachbar war, sah ich allerdings viel mehr von ihm, als ich mir gewünscht hätte. Er hatte (ganz richtig) vermutet, daß sein wohlhabender junger Waffengefährte eine gute Adresse sein würde, um sich einen Pflug oder ein, zwei Krüge Saatkorn auszuleihen, und es schien für ihn eine Art Schicksalsschlag gewesen zu sein, als er feststellen mußte, daß ich schon verheiratet war, denn er hatte noch eine Tochter übrig. Für mich war die Rückkehr allerdings auch so etwas wie ein Schicksalsschlag, denn während des Einsatzes auf Samos hatte ich an Phaidra nicht allzu viele Gedanken verschwendet.
Ich war gerade vor Philodemos’ Tür angekommen und wollte eintreten, als ein libyscher Sklavenjunge, den ich nie zuvor gesehen hatte, hinter mir herstürmte und an meinem Umhang zerrte.
»Laß mich gefälligst los!« befahl ich ihm, weil bereits die Leute guckten. »Was willst du überhaupt?«
»Meine Herrin sagt, du sollst mit mir zu ihr nach Hause kommen«, flehte er mich eindringlich ab.
Ich starrte ihn verdutzt an und drohte ihm im Flüsterton: »Verschwinde, ich bin ein ehrbarer Ehemann.«
»Bist du Eupolis von Pallene?« fragte der Junge.
Ich
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