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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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Aquarienbesitzer ergeben. – Er faxte einen entsprechenden Hinweis an die Zentrale.
    Manchmal ärgerte es mich natürlich, wie Strüver den westlichen Experten hervorkehrte. In einem Kundenbrief aus Spandau war zum Beispiel die Frage gestellt worden: »Kann eine plötzlich aufgetretene ›Incontinentia urinae‹ ursächlich mit der Aufstellung eines Zimmerspringbrunnens im Schlafbereich zusammenhängen?«
    Unschlüssig hielt er den Brief in der Hand. »Na, das ist zu schwierig für uns«, entschied er einfach für uns beide und schickte den Brief zur weiteren Bearbeitung an die Firma zurück. Ich wußte zwar auch nichts damitanzufangen – aber wenigstens hätte er mich ja mal fragen können! (Zu Hause schlug ich dann im Fremdwörterbuch nach und fand heraus: es handelte sich da um die gewöhnliche Bettnässerei.)
    Während Strüver also die Büroarbeit machte, zog ich beinahe täglich allein los. Strüver hatte mir den Firmen-Passat überlassen, im Kofferraum die Vorführmodelle. Jona, wie gesagt, ging nicht sehr gut. Er wurde, wenn überhaupt, mit humoristischem Interesse aufgenommen. Meist kam es aber nicht einmal dazu.
    Abends, im Hotel, führten Strüver und ich dann immer noch lange Gespräche. Es fiel dabei gar nicht weiter auf, daß ich kaum etwas sagte, sondern nur gelegentlich nickte oder den Kopf schüttelte. Zu mehr war ich nach meinen Tagestouren auch kaum in der Lage.
    Im Umfeld des Briefkastenprojekts galt Strüvers Hauptinteresse den Sitten und Gebräuchen der Ostdeutschen. Er zeigte sich sehr daran interessiert, alles mit diesem Thema in Zusammenhang Stehende in Erfahrung zu bringen. Er war froh, daß er die Ostdeutschen nun aus eigener Anschauung kennenlernte. »Der Ostdeutsche an und für sich …«, so begannen seine diesbezüglichen Betrachtungen. (Eine gewisse Rolle mag dabei auch gespielt haben, daß Strüver »in seiner Sturm-und-Drang-Periode«, wie er mir mal vertrauensvoll gestanden hatte, einige Semester lang Student der Politologie war.)
    Sorgen bereitete ihm in dieser Zeit immer wieder die Frage, ob nicht die Fülle neuer, verlockender Angebote so etwas wie einen Kulturschock bewirkt haben könnte und wir dadurch, zumal bei der Eigenart unseres Produkts, nicht zwangsläufig ins Hintertreffen gerieten. Ein Zimmerspringbrunnen sei ja, unter uns gesprochen, nicht das allererste, was der Mensch brauchen könne.
    Daß er sich schon bald dem Osten innerlich verbunden fühlte, merkte ich daran, wie er einmal, am Telefon, jemanden aus der Zentrale ziemlich scharf zurechtwies. Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung hatte, wie mir Strüver, als er aufgelegt hatte, empört mitteilte, die Ostdeutschen mehrfach als »die beleidigten Zonendödels« bezeichnet.
    Was ich Strüver übrigens sehr hoch anrechnen muß: immer, auch bei noch so miserabler Tagesbilanz, machte er mir Mut. »Sie wissen ja«, sagte er, wenn er mich nach unserer Abendbesprechung zum Fahrstuhl brachte, »unser Motto heißt: Stetes Wasser …«
    Dann aber, ein Tag im Oktober, sonnig, kalt.
    Ich kam gerade von einem niederschmetternden Hausbesuch, bei dem es beinahe zu Handgreiflichkeiten gekommen wäre. Ich hatte das Objekt vorzeitig, ja fluchtartig verlassen müssen.
    Mir war elend.
    Mit Strüver, mit der ganzen Welt haderte ich. Ich dachte, da mir im Moment nichts anderes einfiel, über den Sinn des Lebens nach. Mein Leben, dachte ich so bei mir, ist die Summe von Peinlichkeiten und Mißverständnissen. Insofern, wie ich mir ingrimmig bestätigen mußte, habe ich zweifellos ein ausgefülltes Leben!
    Du mußt deinen inneren Schweinehund bekämpfen, sagte ich mir – doch im nächsten Moment fragte ich mich: Warum muß ich ausgerechnet das bekämpfen, was vielleicht mein Bestes ist?
    In der Einkaufspassage stand immer noch der Geigenspieler. Er begleitete eine Orchestermusik, die sich aus den Recorderlautsprechern über die fast leere Straße ergoß. Zwar hatte ich ihn auch schon auf dem Hinweggesehen, doch erst jetzt, nach meinem Mißerfolg (solange wir halbwegs zufrieden sind, sind wir ja blind!), erkannte ich ihn – als einen Kollegen, als einen Leidensgenossen. Ich wollte ihm also brüderlich eine Mark oder auch zwei in das aufgeklappte Geigenfutteral legen (nicht werfen!), legen, da merkte ich, daß ich nur Scheine bei mir hatte. Das schien mir zuviel. Aber ich fand es auch unpassend, mir von einem Straßenmusiker das Restgeld herausgeben zu lassen, ich hatte so etwas jedenfalls noch nie gesehen. So ließ ich

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