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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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Interesse (I = interest) umzuwandeln. Das erfolgte in diesem Fall fast automatisch. Der Mann, ohne daß ich ihn erst hatte darum bitten müssen, holte von selbst Wasser. Ohne Zweifel, ein deutliches Indiz für vorhandenes Interesse.
    Um es vorwegzunehmen: Keine drei Minuten später (ich habe nicht auf die Uhr gesehen, es ging jedenfalls ungeheuer schnell), hatte auch Punkt D (desire = Kaufwunsch) feste Gestalt angenommen. Als ich nun den Mann bat, den Einschaltknopf zu drücken, und sich nach wenigen Sekunden langsam aus dem Wasser die Kupferplatte mit dem darauf befestigten Fernsehturm emporhob, war es still – doch es war eine feierliche, eine andächtige Stille! (Das abschließende A [= action], also das Unterschreiben des Kaufvertrages, war dann nur noch eine Formsache.)
    Was war geschehen?
    Mir dämmerte allmählich, daß die Intuition (oder was immer es sonst gewesen sein mag) mich damals, an jenem traurigen Abend mit dem defekten Jona, durchaus auf den richtigen Weg geleitet hatte, als sie mich in mühseliger Nachtarbeit ausgerechnet die Umrisse der DDR , meines untergegangenen Landes, aus der Kupferplatte heraussägen ließ. (Vielleicht war das damals auch nur aus einer Laune heraus geschehen oder, wie ich mich zu erinnern glaube, weil an einer Ecke der rechteckigen Kupferplatte ein Stück herausgebrochen war, so daß sich wie von selbst die DDR – Form ergab … Wie auch immer, der Erfolg war überwältigend, und er gab mir nachträglich recht, ja, er gab dem scheinbar Zufälligen im nachhinein die Aura einer insgeheimen Notwendigkeit.)
    Die ältere Dame jedenfalls hatte feuchte Augen, als sie mir zum Abschied stumm die Hand drückte. Nur die Kinder schienen, vor die Wahl gestellt, dann doch lieber dem Walfisch den Vorrang geben zu wollen, worauf der Vater aber sagte: Das versteht ihr noch nicht.
    Nein, das konnten sie noch nicht verstehen. Ich, offen gesagt, verstand es auch noch nicht ganz. Es schien wohl zu stimmen, was ich mal über die Künstler gelesen hatte: Sie verstehen oft ihre eigenen Werke nicht.
    An diesem Tag sollte mein Siegeszug mit Atlantis beginnen.
    Es würde sicher zu weit führen, wollte ich hier alle Stationen aufzählen. (In manchen Fällen bin ich sogar ausdrücklich um Diskretion gebeten worden!) Ich habe auch nicht genau Buch darüber führen können. Wann auch! Tagsüber hastete ich von Kunde zu Kunde – ich wurde ja auch weiterempfohlen; nachts aber saß ich in meinem Hobbyraum und frisierte, Stück für Stück, die Jona-Modelle um. Das war zeitaufwendig, denn mein Bestreben war es, ausschließlich Originale in die Welt zu geben. So kratzte ich etwa bei dem einen Modell Städtenamen in die Kupferplatte, zum Beispiel (und in voller Absicht) »Karl-Marx-Stadt« dort, wo sich heute Chemnitz befand, bei anderen Ausführungen wiederum beließ ich es bei der vulkanischen Ausgestaltung der Landschaft.
    Der Erfolg, den ich mit Atlantis hatte, war mir unbegreiflich, ja, bisweilen auch unheimlich. Vielleicht lag das daran, daß ich so lange abgeschirmt von allem in meinem kleinen Hobbyraum vor mich hin vegetiert hatte und die große Welt draußen nicht mehr begriff? Zwar spürte auch ich manchmal, wenn ich an früher dachte, so etwas wie einen Phantomschmerz, aber …
    Ich sah mir meine Kunden genau an. Natürlich, etliche betrachteten das als Kuriosum, als Party-Gag vielleicht. Die meisten aber behandelten Atlantis wie einen Kultgegenstand. Es waren regelrechte Altarecken, wo er landete; manchmal hatte ich den Eindruck, in einem Traditionskabinett gelandet zu sein. Ich wurde, wenn ich auf Empfehlung kam, als Gesinnungsgenosse begrüßt (»Wir haben schon viel von dir gehört …«). Vor allem unter den Mitgliedern eines mir bis dahin unbekannt gebliebenen halblegalen » DDR – Heimatvertriebenen-Verbandes«, der erstaunlich gut und straff organisiert war, gelangen mir spektakuläre Verkäufe – hier wurde ich von Mitglied zu Mitglied »weitergereicht«. Einmal, es war eine Vollversammlung in einem alten, stillgelegten Kinosaal, bekam ich in der Pause, beim Solidaritätsbasar, sogar einen Verkaufstisch zugewiesen, zwischen den Spreewälder Senfgurken und FDJ – Hemden.
    Wenn ich in den langen, einsamen Nachtstunden an meinen Kupferplatten herumsägte oder – feilte, ging mir vieles durch den Kopf. Nur weniges davon habe ich im Protokollbuch festgehalten. Etwa: »Nächtliche Stille – Die andern im Haus schlafen. Sie schlafen den Schlaf der Ungerechten. Plötzlich habe ich die

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