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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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es also bleiben und nickte ihm nur, obwohl er die Augen beim Spiel geschlossen hielt, stumm zu.
    Der Gedanke aber, daß ich dem Musiker durchaus, wenn ich es denn passend gehabt hätte, Geld gegeben hätte – dieser Gedanke vermochte mich an diesem kühlen Herbstnachmittag zu wärmen. Nur höhere Gewalt, respektive fehlendes Kleingeld, hatten es verhindert.
    Unversehens war ich dadurch also wieder besserer Laune, und um diese seltene Gelegenheit zu nutzen, faßte ich den Entschluß, endlich auch einen entscheidenden Vorstoß in Sachen meines Atlantis-Modells zu wagen. Nach Lage der Dinge mußte es, eher früher als später, ja doch zur großen, peinlichen Schlußabrechnung kommen – da wollte ich nicht zu allem Überfluß auch noch damit belastet sein.
    Durch meinen Rauswurf hatte ich genügend Zeit gewonnen, ich ging zum Auto, schloß die Kofferraumhaube auf, klemmte den Autoschlüssel zwischen meine Zähne und entnahm dem Kofferraum ein komplettes Jona-Modell und den Karton, in dem sich mein Atlantis befand. Sonst hielt ich mich ja strikt an Weisung und ließ die Modelle erst mal im Auto. Aber wahrscheinlich hatte ich hier instinktiv einen goldrichtigen Griff getan. (Rückblickend muß ich feststellen: sicher, es sprichtmanches dafür, zunächst lediglich den Aktenkoffer und die Prospekte bei sich zu führen und nicht gleich mit einem Schrankkoffer, 90   ×   60   ×   40   cm, vor der Kundentür zu stehen, das ist keinesfalls ein überzeugender Auftritt – andererseits gibt man nach Strüvers Methode kampflos und leichtfertig gewonnenen Boden preis, wenn man nämlich noch einmal zum Auto muß, um die Vorführmodelle zu holen. »Lassen Sie mal, das ist nicht nötig!« hört man dann und steht wieder vor der Tür. – Strüvers »Musterkoffermanie« jedenfalls, mit der er mich während langer Autofahrten endlos traktiert hatte, sollte sich in diesem Falle als völlig unbegründet erweisen!)
    Die ältere Dame, die mir die Tür öffnete, meldete unverzüglich ins Innere der Wohnung: Jemand mit Paketen ist da!
    Einen besseren Einstieg hätte man sich eigentlich gar nicht wünschen können. Sofort erschienen zwei Kinder. Sie wichen der Frau, ihrer »Omi«, wie sich nun zweifelsfrei herausstellte, nicht von der Seite. Wahrscheinlich wollten sie beim Auspacken die ersten sein. Schließlich, in gemessenem Abstand, folgten die Eltern.
    Nun war also die gesamte Familie vollzählig vor mir angetreten. Angesichts einer solchen gegnerischen Übermacht – eine Horrorvision für jeden Vertreter! – wäre es eigentlich das Beste gewesen, unverzüglich die Flucht anzutreten. Aber, sei es, daß die Eltern ihre Kinder nicht enttäuschen wollten, oder auch, daß ihnen das Gedränge an der Wohnungstür und im engen Flur zu groß geworden war – wenig später fand ich mich am Wohnzimmertisch, sozusagen »im Kreise der Familie«, wieder. Durch diesen schnellen, überraschenden Anfangserfolg irritiert, wollte ich zunächst jedes weitere Risiko vermeiden und wickelte Jona aus. Zugleich schob ich den Atlantis-Karton unauffällig mit der Fußspitze unter den Tisch.
    Ich spulte fehlerfrei meinen Jona-Text herunter. Es gab die übliche Irritation, die »Schrecksekunde«, wie ich es nenne.
    Die Familie und der Walfisch betrachteten sich stumm. Ganz offenkundig war es nicht gerade das, was man sich vorgestellt hatte. Auch für mich war dieser Moment immer wieder gefährlich. Diese kalt abschätzenden, zersetzenden Blicke waren ansteckend.
    Entsprechend zaghaft fiel auch meine Frage aus, was man denn nun von einem Probelauf unter Wasser halte? Sie blieb unbeantwortet, so wie sich jetzt überhaupt ratloses Schweigen breitmachte …
    Da meldete sich, geisterhaft, eine Stimme – und zwar von unterm Tisch. Eines der Kinder war im Angesicht des Walfisches dorthin abgetaucht. »Auch auspacken«, sagte die Stimme, und sie wiederholte es nach Kinderart so lange, bis ich nicht umhinkam, den fraglichen Karton heraufzuholen. Unschlüssig hielt ich ihn zwischen meinen Knien. »Auch auspacken!«
    Ganz mechanisch öffneten meine kalten Finger den Karton. Ich sagte kein Wort. Im übrigen, wenn es etwas zu sagen gab: Atlantis sprach für sich …
    Oder, um es etwas wissenschaftlicher, im Vokabular der a.   i.   d.   a.-Technik, zu beschreiben: das stumme Auspacken des Gerätes sorgte für den ersten a.   i.   d.   a.-Schritt, A wie attention! Nun kam es darauf an, diese diffuse Aufmerksamkeit zu bündeln und in ein spezielles

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