Der Zirkel Des Daemons
auf. Das Kreischen verwandelte sich in ein Stöhnen, und Nick wurde einer Bewegung gewahr und vermutete, dass sich Mae und Jamie aneinanderklammerten. Nick fühlte, wie Alan neben ihm zitterte. Er war sich vage bewusst, dass auch er schockiert sein sollte, aber er hatte in seinem Leben schon viel schlimmere Dinge gesehen. Er schaute mit ruhigem Interesse zu, und das Gesicht des Mannes nahm einen scharfen Ausdruck an, wie ein Hund, der eine Spur aufgenommen hat. Nach einer kurzen Weile war Nick davon überzeugt, dass der Mann ihn - irgendwie - sehen konnte.
Der Mann zwinkerte ihm zu. Sein verschrumpeltes Augenlid zuckte über das nackte Fleisch seiner Augenhöhle.
Nick zögerte kurz, dann zwinkerte er zurück.
Einer der fetten Käfer hatte das Kinn des Mannes erreicht und ließ sich in das Haar der knienden Frau fallen. Sie schaute auf und schüttelte den Käfer mit einer krampfartigen Bewegung ab, doch abgesehen von dieser instinktiven Geste des Ekels schien sie von den Ereignissen unberührt zu bleiben. Sie war etwa Mitte zwanzig, mit dichtem kastanienbraunen Haar und tränenfeuchten Augen. Nick fragte sich, was sie zum Schreien gebracht hatte.
»Wie ich sehe, habt ihr Ruth und Thomas schon kennengelernt«, sagte Merris Cromwell. Ihre Stimme klang klar und ruhig und hallte von den Wänden des Korridors wider. Sie sprach, als würde sie Gäste auf einer Cocktailparty miteinander bekannt machen.
»Ruth und Thomas …? Was zum Teufel ist los mit diesem Mann?«, wollte Jamie mit ungewohnter Heftigkeit wissen. Er ging auf Merris zu, und Nick sah, dass seine Schultern zitterten. Die Art, wie Jamie reagierte, ließ ihn vermuten, dass Jamie bereits Bescheid wusste. Er wollte es bloß nicht wahrhaben.
Merris kam den Korridor entlang auf sie zu, als ob sie Jamie nicht sehen konnte, und im letzten Moment, ehe sie zusammenstießen, trat Jamie zur Seite. »Mal überlegen«, sagte sie. »Er ist stumm, hat keine Spur mehr seiner früheren Persönlichkeit im Leib und ist in der Lage, alles in der natürlichen Welt zu manipulieren, einschließlich seines eigenen Körpers. Ich wage zu behaupten, dass er besessen ist.«
Jamies Körper wurde zurückgeworfen, als ob er einen Schlag in die Magengrube erhalten hätte. »Besessen?« Mit ruckartigen Bewegungen seines Kopfes schaute er auf all die anderen Eisentüren, die sich entlang des Korridors erstreckten, bis die Wände im Dämmerlicht verschwanden. Aber auch dort befanden sich zweifellos noch Türen. »Wollen Sie sagen, dass hinter jeder Tür jemand …?«
»Es sei denn, seit gestern ist jemand gestorben.« Merris’ große graue Augen glitten von Jamie ab und widmeten sich den anderen. Offensichtlich sah sie in mindestens einem der Gesichter etwas, das ihren Unwillen erregte, denn sie schürzte die Lippen und stellte ihrerseits eine Frage: »Hat sich denn keiner von euch gefragt, was mit den Besessenen passiert?«
Niemand hatte eine Antwort parat. Merris wartete einen Moment, damit sie sich dieser Tatsache auch bewusst werden konnten, und fuhr dann fort.
»Eine stumme Kreatur mit großer magischer Kraft überwältigt einen gewöhnlichen Menschen über Nacht. Ihr könnt euch vorstellen, dass das nicht unbemerkt bleibt. Wenn der Besessene eine Familie hat, fällt die Veränderung schnell auf. Die Verwandten und Mitmenschen sind entsetzt und verängstigt. Sie haben niemanden, der ihnen hilft. Außer uns.«
Sie lächelte. »Wir haben diese neuen magischen Kreise speziell für Dämonen entworfen, die einen menschlichen Körper in Besitz genommen haben. Wir haben die Möglichkeit, sie in Schach zu halten. Wenn Menschen zu uns
kommen und uns von besessenen Freunden oder Verwandten erzählen, dann reden wir nicht über Geisteskrankheiten, sondern schenken ihren Schilderungen Glauben. Das Mezentius-Haus ist der einzige Ort, an den sich diese Menschen wenden können. Natürlich halten wir uns auch an das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wir werden für unsere Hilfe gut bezahlt.«
»Aber das sind verzweifelte Menschen!«, rief Jamie und wischte sich den Mund ab, als ob er etwas Schlechtes gegessen hätte und nun den Geschmack nicht loswerden konnte.
Nick musste plötzlich an Geralds Behauptung denken, dass der Jahrmarkt der Kobolde mit Blutgeld finanziert wurde. Das war also der Grund, warum sich alle Merris Cromwell unterwarfen. Und dieses Geld hatte auch ihm und Alan geholfen, in den Jahren ihrer Flucht immer wieder neue Häuser, neue Schulen und neue Arbeitsstellen zu
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