Der Zirkel Des Daemons
Handlungen, die genauso wenig in Nicks Natur lagen wie tröstende Worte.
»Wie du meinst«, sagte Nick und bemühte sich um einen sanften Ton. Aber seine Stimme brach und der Satz hörte sich grob an.
Er setzte sich auf den Boden und lehnte den Rücken
gegen die Wand. Nach einer Weile stieß Alan ein Seufzen aus, als ob er müde wäre oder aufgeben würde. Nick hielt den Kopf gesenkt, als Alan ihm die Hand auf den Nacken legte. Er spürte auf Alans Handfläche die Schwielen vom Umgang mit der Pistole.
Nick hatte nie begriffen, warum Menschen sich anfassten, aber wenn Alan sich dadurch besser fühlte, war es wohl keine so schlechte Sache.
»Warum sind wir hier?«, fragte er.
»Ich wollte die besessenen Patienten sehen«, antwortete Alan leise. »Aber ich wollte nicht, dass du sie siehst. Keiner von euch sollte sie sehen.«
»Es ist schon gut«, sagte Nick, der immer noch versuchte, Alan zu trösten. »Es macht mir nichts aus.«
Er schaute zu Alan hoch. Alan sah alles andere als getröstet aus. Er sah todmüde aus, als ob ihn irgendetwas schrecklich quälen würde.
Nick war frustriert wie früher, als er jünger gewesen war, wenn die Lehrer ihn aufgefordert hatten zu lesen oder wenn Mädchen von ihm eine bestimmte Geste erwartet hatten. Diesmal war es aber viel schlimmer, denn diesmal betraf es seinen Bruder. Diesmal hatte es für Nick eine Bedeutung.
»Ich werde dich beschützen«, sagte er schließlich ungeschickt. Es auszusprechen, kam ihm dumm vor. Alan wusste es doch längst.
Trotzdem wirkte Alan etwas gefasster. »Ich verlasse mich auf dich.«
»Gut«, sagte Nick. »Es wird alles gut werden. Ich werde
dich beschützen. Du … du darfst dich nicht mehr aufregen.«
Alan stieß einen leisen, zitternden Ton aus, der irgendwo zwischen einem Atemzug und einem Lachen lag. »Ich rege mich nicht auf.«
»Lügner«, murmelte Nick.
Alan strich ihm einmal kurz übers Haar und zog dann seine Hand weg.
»Mir geht’s wieder gut«, versicherte ihm Alan. »Wirklich.«
Es klang ehrlich, gerade so als ob Nick ihm glauben konnte. Er erinnerte sich wieder an das friedliche Gefühl auf der Fähre, als er nichts anderes getan hatte, als Alan zu vertrauen. Es konnte nichts schaden, wenn er es noch einmal versuchte.
Nicks Handy klingelte. Er fluchte, stemmte sich leicht hoch, um es aus der Hosentasche zu holen, und schaute dann stirnrunzelnd auf die Nummer, die auf dem Display stand.
»Wer zum …?« Er schüttelte leicht den Kopf und wollte das Handy ausstellen.
»Vielleicht eine von deinen zahlreichen Flammen«, sagte Alan grinsend. »Geh ruhig ran. Mit mir ist alles klar, versprochen. Ich bin gleich bei dir.«
Nick hatte in letzter Zeit viel zu tun gehabt. Er konnte sich nicht erinnern, irgendeinem Mädchen seine Telefonnummer gegeben zu haben, aber wenn Alan einen Moment allein sein wollte, war dagegen nichts einzuwenden. Nick rappelte sich auf, fragte sich kurz, ob es
noch etwas zu sagen gab, und entschloss sich dann, seinem Bruder nur zuzunicken. Alan lächelte ihn an. Mit wesentlich besserer Laune ging Nick durch die Tür hinaus auf den Korridor und nahm den Anruf entgegen.
»Hallo«, sagte er lässig.
Ein kurzes Schweigen folgte, dann ein scharfes Einatmen und die Stimme einer Frau. »Hallo«, sagte sie. »Spreche ich mit der Person, die Maries Foto in der Zeitung hat abdrucken lassen?«
»Ja. Wer sind Sie?«
Nick sprach instinktiv. Er musste sie so lange hinhalten, bis er nachgedacht hatte.
»Mein Name ist Natasha Walsh«, sagte die Frau. »Marie war meine Schwester.«
»Sie ist tot?«, platzte es aus Nick heraus.
Der Gedanke flößte ihm nichts außer Befriedigung ein. Also war sie tot, diese lächelnde blonde Frau, und wenn sie tot war, hatte sie keinen Anspruch mehr auf seinen Bruder. Er hatte, was er wollte. Beinahe hätte er einfach aufgelegt.
Doch die Frau kam ihm zuvor. Sie sagte: »Hören Sie«, und dann sprudelten ihre Worte so schnell aus ihr heraus, dass sie sich beinahe überschlugen. »Es geht um Alan, nicht wahr? Ist irgendetwas passiert? Ich habe ihn seit Weihnachten nicht mehr gesehen.«
Sie sprach über Alan, als ob er ihr nahestand, als ob sie ihn gut kannte. Niemand, von dem Nick noch nie im Leben gehört hatte, sollte in der Lage sein, so über seinen Bruder zu sprechen!
»Seit Weihnachten«, wiederholte Nick.
Also hatte sich Nicks Verdacht bestätigt. Alan war weggegangen und hatte ihn wegen eines toten Mädchens allein gelassen. Er hatte gelogen, als er behauptet hatte, dass
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