Der Zirkel Des Daemons
nicht. Sie stand nur still da und ihre Augen suchten Nicks Gesicht ab. Er sah förmlich, wie sie im Geiste all ihre Möglichkeiten abschätzte, wie sie versuchte, einen Plan auszuarbeiten und gleichzeitig herauszufinden, was Nick als Nächstes tun würde.
Er küsste sie.
Er beugte sich vor und drückte sie fest gegen das Geländer, hielt sie weich und warm und eng an sich gepresst. Mit der Hand umfasste er ihr Kinn, die Finger an ihren Kieferknochen, und so bog er ihr Gesicht nach oben. Sein Arm, der ihre Taille umklammert hatte, war so hart und unverrückbar wie eine Eisenstange.
Sie konnte sich nicht befreien und sie versuchte es auch gar nicht. Nach einem kurzen Moment legte sie ihren Arm um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss.
Nick wurde sich erst bewusst, wie elend kalt ihm gewesen war, als er merkte, wie die Kälte, die sich als dumpfer Schmerz in seinen Knochen niedergelassen hatte, langsam wich. Er packte den trockenen, warmen Stoff ihres T-Shirts mit beiden Händen und schob ihn hoch, bis er die weiche, warme Haut an ihrem Rücken unter seinen Fingern spürte. Maes runde Lippen lagen auf seinem
Mund und durch die geschlossenen Lider sah er die hin und her schwankende Glühbirne. In seinen Gedanken wurde sie zu den tanzenden Lichtern des Jahrmarkts der Kobolde, und mit wilder Freude dachte er, wie sehr er Alan mit dieser Tat verletzen würde.
Mae und er hörten gleichzeitig Alans schleppende Schritte. Sie zog sich zurück und Nick wollte ihren Mund wieder mit seinem einfangen, bedrängte sie aber nicht weiter, als sie das Gesicht abwendete. Ihr Atem fuhr zart über seine Wange.
Alan stand oben an der Treppe. Seine lockigen Haare waren schlafzerzaust und seine freundlichen Augen blickten erschrocken. Langsam schlich sich ein verwundeter Ausdruck hinein. Nick war sich nicht klar darüber gewesen, wie sehr er ihn hasste. Bis jetzt.
»Du« , sagte er. Das Wort drang dickflüssig aus seinem Mund, als ob er es durch einen Schwall Blut hervorgurgelte.
Alan schaute nicht länger überrascht. Seine Augen wanderten von Nick zu Mae und jetzt sah er wütend aus. Alan hatte keine Ahnung gehabt, hatte keine Sekunde lang daran gedacht, dass Nick etwas für Mae empfinden könnte. Es musste ihm so vorkommen, als ob Nicks einziger Grund für sein Tun darin bestand, ihm wehzutun.
»Bitte entschuldigt, dass ich euch gestört habe«, sagte er leise. Er war ein Meister der Verschleierung, konnte viel zu gut lügen, um sich eine Blöße zu geben und seine Gefühle für Mae in ihrer Gegenwart zu verraten. »Darf ich fragen, wo du gewesen bist?«
»Wo ich …« Nick ließ Mae los und ging langsam die Treppe hinauf. Seine Bewegungen erinnerten an ein Raubtier, das sich an seine Beute heranpirscht. »Wo warst du ?«, fragte er. »Wo warst du an Weihnachten?«
Alan starrte ihn an. Natürlich war er geschockt. Er hatte geglaubt, dass niemand jemals hinter seine Lügen kommen würde. Er hatte geglaubt, dass Nick keinen Verdacht schöpfen würde. Nick hatte immer gedacht, dass er derjenige sei, den Alan nicht anlog, dass er eine Ausnahme sei, aber warum sollte Alan ihn anders behandeln als andere Menschen? Er bedeutete Alan gar nichts.
Nach wenigen Minuten schon hatte Alan wieder sein normales, liebenswürdiges Gesicht aufgesetzt, eine Maske, die Nick hassen gelernt hatte und am liebsten in tausend Stücke zerschlagen hätte. Schritt für Schritt ging er weiter auf Alan zu.
Wachsam fragte Alan: »Was weißt du?«
»Ich weiß alles !«, schrie Nick. »Ich weiß, dass Black Arthur mein Vater ist. Ich weiß, dass du mich mein Leben lang angelogen hast. Du bist nicht mein Bruder.«
Alan biss sich auf die Unterlippe. »Das spielt doch alles keine Rolle«, sagte er mit dieser besänftigenden, heuchlerischen Stimme, mit der er alle Leute einzulullen wusste, die Verdacht geschöpft hatten. »Es ist so, wie adoptiert zu sein. Es macht überhaupt keinen Unterschied.«
»Wenn es keine Rolle spielt, warum hast du dann gelogen? Warum hast du immer weiter gelogen?«
Nick sah, dass Alan zu verletzt war, um ruhig zu bleiben. »Weil ich wusste, dass du wütend werden würdest!«,
fuhr Alan ihn an. »Und du beweist mir ja gerade, dass ich recht hatte, oder?«
»Halt deinen verlogenen Mund«, sagte Nick gefährlich sanft. »Adoptiert zu sein, ist etwas völlig anderes. Das ist nicht der Grund für deine Lügengeschichten. Du hast die Tatsache verschwiegen, dass du eine andere Mutter hast, du hast nicht einmal Anstalten gemacht, mir nur
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