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Der Zirkel Des Daemons

Titel: Der Zirkel Des Daemons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Rees Brennan
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das eine Kränkung, die er einfach nicht verkraftete.
    »Nein, sein richtiger Bruder«, knurrte Nick.
    Sie runzelte die Stirn. Ihre Miene erinnerte ihn an ein Dutzend Mütter, die überlegt hatten, ob sie die Polizei rufen sollten, weil Nick mit ihren Töchtern ausging.
    »Wenn das ein Witz sein soll …«
    »Ich lache nicht. Ich bin sein Bruder.«
    »Du kannst unmöglich sein Bruder sein«, fuhr Mrs Walsh ihn an. »Meine Schwester Marie hatte nur ein Kind. Ich sollte das ja wohl wissen.«
    Nick starrte sie schweigend an, unfähig, irgendwelche Worte zu finden. Er konnte nur Bilder sehen, die wie bei einer Diavorführung nacheinander auftauchten und wieder verschwanden. Alans Gesicht. Das Gesicht des lächelnden Mädchens auf dem Foto. Das irrsinnige, kalte Gesicht der Frau, die er immer als ihrer beider Mutter gekannt hatte.
    Etwas an seinem eigenen Gesicht ließ die Frau stutzen. Dann nahm sie ein silbern gerahmtes Foto zur Hand und zeigte es Nick. Darauf war sein Vater zu sehen, groß und lächelnd und mit einem komischen Schnurrbart, er stand neben Marie, die klein war, ebenfalls lächelte und ein Brautkleid trug. Wann immer Nick Menschen begegnete, die miteinander verwandt waren, registrierte er etwaige Familienähnlichkeiten mit einem Stich der Eifersucht. Jetzt blieben seine Augen auf den ineinander verschränkten Händen des Brautpaars hängen.
    Die Hände seines Vaters waren groß, die Knöchel kantig
und klobig. Die Handrücken waren behaart. Das Mädchen Marie dagegen hatte schmale, zierliche Hände. Sie waren zwar weicher und weiblicher geformt, aber es waren unverkennbar Alans schlanke, sensible Hände.
    Nick empfand eine ungeheure Erleichterung.
    Kein Wunder, dass sie auf dem Foto, das Alan versteckt hatte, altmodische Kleidung trug. Kein Wunder, dass Alan gelogen hatte. Er wollte Nick nicht mit der Tatsache belasten, dass sie unterschiedliche Mütter hatten. Alan hatte Nick nicht verletzen wollen. Er hatte Nick beschützt.
    Nick gefiel diese Vorstellung zwar nicht, aber er verstand Alan. Alan nannte seine Mutter immer Olivia. Bei näherer Betrachtung fand Nick das völlig logisch, da Alan ja wusste, dass sie nicht seine Mutter war. Und nun war es auch nicht mehr verwunderlich, dass Alan nicht im Mindesten von ihrem Wahnsinn befleckt war.
    »Weißt du, an wen du mich erinnerst?«, sagte Mrs Walsh plötzlich. »Du siehst aus wie Olivia, Daniels erste Frau. Sie …« Mrs Walsh zögerte. »Ich glaube, sie haben sehr jung geheiratet. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit und … nun ja, ich weiß nicht viel über sie, aber sie schien immer so ruhelos zu sein. Sie lief mit einem anderen weg und nach ein paar Jahren haben Daniel und Marie geheiratet. Ist … ist alles in Ordnung?«
    »Alles bestens«, stieß er hervor. »Ganz wunderbar.«
    Nick schaute auf das Bild in Mrs Walshs Händen und dachte an das Hochzeitsfoto, das Alan auf seinem Nachttisch stehen hatte. Jedes Mal wenn Nick das Foto ansah,
fiel ihm auf, wie jung seine Eltern darauf aussahen. Jünger als sein Vater auf dem Bild, das er jetzt anstarrte.
    Wilde Panik sprengte die Bilder, die in Nicks Kopf herumtanzten, in Stücke. Er versuchte, all die neuen Informationen zusammenzusetzen, bis sie einen Sinn ergaben. Er fühlte sich, als würde er die Splitter eines zerbrochenen Spiegels mit den bloßen Händen zusammensetzen, aber es machte ihm nichts aus, wenn er sich verletzte, solange er die Welt wieder in eine Form pressen konnte, die zu begreifen er in der Lage war.
    Seine Eltern waren also früher schon einmal verheiratet gewesen. Das spielte keine Rolle. Seine Mutter war zu seinem Vater zurückgekehrt, und er hatte sie aufgenommen, weil er sie liebte. Das erklärte auch, warum er eine Magierin beschützt hatte. Für Nick änderte sich dadurch nichts.
    »Sie kam zu ihm zurück«, sagte er und bemühte sich um Gelassenheit in seiner Stimme. »Olivia. Dann wurde ich geboren …«
    »Marie starb vor fünfzehn Jahren«, unterbrach ihn Mrs Walsh. »Ich war bei ihr. Ich war die ganze Zeit bei Alan und Daniel. Du bist etwa siebzehn! Ich weiß nicht, wer du bist, aber du bist ganz bestimmt nicht Daniel Ryves’ Sohn.«
    Sie schleuderte ihm die Worte entgegen, nervös und verwirrt wie sie war, aber Nick war mit einem Mal alles egal. Sie hatte ihm gesagt, was sie wusste. Sie spielte keine Rolle mehr. Sein Vater hatte früher viele Fotos besessen, aber es war keins dabei gewesen, auf dem Alan jünger
als vier Jahre alt war oder Nick jünger als ein Jahr.

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