Der Zirkus der Abenteur
Bär schrak zurück und verkroch sich in einer Ecke des Käfigs. Scharfes Licht konnte er nicht vertragen.
»Das wird ihn vorläufig in Schach halten«, sagte Philipp zufrieden. »Solange die Fackel brennt, wird er nicht versuchen herauszukommen. Wo sind denn die beiden andern?«
»Dort drüben.« Jack deutete auf zwei dunkle Schatten.
»Sie beschnüffeln gerade den Wagen vom Boß.«
»Ich brauche etwas Fleisch«, keuchte Philipp, während sie auf die Bären zuliefen. »Oder noch besser etwas Honig — oder Sirup.«
»Ma hat einen Topf mit Sirup«, rief Jack. »Ich werde ihn holen.«
Er rannte zu Mas Wagen und riß die Tür auf. Gussel stand in Unterhosen vor Ma und trampelte wütend mit den Füßen, während sie ungerührt seine Haare bürstete.
»Dort auf dem Brett«, sagte sie ruhig, als Jack atemlos um Sirup bat. Er nahm den großen Steinkrug und raste zu Philipp zurück. Dieser ging langsam näher an die Bären heran, die ihm argwöhnische Blicke zuwarfen.
»Sei vorsichtig!« sagte Jack leise. »Sie haben bereits einen Mann verwundet.«
»Ach, mir passiert schon nichts. Verschwinde jetzt, Jack.« Philipp nahm ihm den Krug ab, steckte seine Hän-de hinein und beschmierte sie bis zu den Handgelenken mit dem zähflüssigen Sirup. Während er weiterging, ließ er etwas davon auf den Rasen tropfen. Die Bären brummten gefährlich. Philipp ging wieder zu dem Krug zurück und setzte sich abwartend auf den Boden.
In einiger Entfernung standen ein paar Schausteller, die alles mit ängstlicher Neugier beobachteten. Wer war dieser Junge? Wie konnte er sich mit den gefährlichen Tieren einlassen? Sie schüttelten die Köpfe und waren bereit, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Auch Jack beobachtete Philipp, um ihm notfalls zu Hilfe eilen zu können.
Aber das würde ja nicht nötig sein. Philipp wurde mit jedem Tier fertig, das hatte er schon oft genug erlebt. Jack war überzeugt, daß es ihm auch diesmal gelingen würde.
Bald rochen die Bären den süßen Sirup, den Philipp auf den Rasen geträufelt hatte. Sie kannten diesen Geruch sehr gut. Fank gab ihnen manchmal etwas Sirup als besondere Belohnung; und es bedeutete immer einen Hauptspaß für sie, wenn sie einen leeren Sirupeimer auslecken durften.
Schnüffelnd gingen sie dem lieblichen Duft nach. Als der eine Bär auf die ersten süßen Tropfen stieß, schleckte er sie genießerisch auf. Der andere brummte neidisch und versuchte, ihn zur Seite zu drängen. Doch da entdeckte er weitere Siruptropfen auf dem Rasen und watschelte darauf zu.
Die beiden Tiere begannen erwartungsvoll zu grunzen.
Oh, hier gab es offenbar viel von dem süßen klebrigen Saft! Sie hatten seit zwei Tagen nichts gegessen und waren hungrig. Gierig schnüffelten sie auf dem Boden umher.
Die Zirkusleute, die das Schauspiel beobachteten, hielten den Atem an. Immer näher kamen die beiden plumpen Gestalten an den Jungen heran, der seelenruhig auf der Erde sitzenblieb. »Wer ist er? Man sollte ihn zu-rückrufen«, riefen sie durcheinander. Aber Toni beruhigte sie. »Still, still! Er ist ein Freund von Jack, der Wunder mit Tieren vollbringt. Wenn die Bären ihn angreifen, wird er schon rechtzeitig ausreißen.«
Der erste Bär, immer mit gesenktem Kopf auf dem Boden umherschnüffelnd, war jetzt schon ganz nahe bei Philipp. Der Junge steckte seine rechte Hand in den Krug und schwenkte sie langsam durch die Luft. Da hob der Bär den Kopf. Er stieß ein ärgerliches Grunzen aus und ging ein paar Schritte zurück. Seine Augen funkelten böse. Ein ängstliches Seufzen durchlief die beobachtende Menge.
Aber nun fing Philipp an zu sprechen. Dabei ge-brauchte er seine »Sonderstimme für Tiere«, wie Jack zu sagen pflegte. Sie war leise und eintönig, sanft und freundlich, dabei aber doch ungemein eindringlich. Sie hatte etwas Zwingendes an sich, etwas Betörendes. Kein Lebewesen konnte sich dem Einfluß dieser Stimme ent-ziehen.
Der Bär neigte aufhorchend den Kopf zur Seite, brummte ein wenig unentschlossen und ging noch einen Schritt zurück. Dabei stieß er mit seinem Kameraden zusammen. Philipp sprach unbekümmert weiter. Jack konnte nicht verstehen, was er sagte. Wie schon so oft bewunderte er wieder einmal Philipps Gabe, mit Tieren umzugehen. Woher wußte er, wie man mit diesen Bären sprechen mußte? Warum hörten alle Tiere auf ihn? Auch die Zirkusleute staunten. Sie wußten wohl, daß Tierbändiger in einem ganz bestimmten Tonfall mit ihren Tieren zu sprechen pflegten. Aber dieser fremde
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