Der Zirkus der Abenteur
Frisuren an ihm aus-probiert worden waren, hatte sie ihm schließlich zwei kleine Schleifen ins Haar gebunden, weil er damit mäd-chenhafter aussah als mit einer großen Schleife in der Mitte. Dann mußte er Mädchenkleider anziehen, einen langen roten Rock, der ziemlich schmutzig und zerfetzt war, und eine gelbe Bluse. Zum Schluß hatte Ma ihm dann noch eine grüne Schärpe um die Taille gebunden.
Gussel hätte vor Scham heulen können. Aber es hatte keinen Zweck, sich gegen Ma aufzulehnen. Als er nicht stillstehen wollte, während sie ihm die Schleifen ins Haar band, gab sie ihm eine tüchtige Ohrfeige. So etwas war Gussel noch nicht passiert, und er vergaß vor Schreck zu weinen.
»Wissen Sie nicht, daß ich ein Prinz bin?« fuhr er wütend auf.
Aber das machte keinen Eindruck auf Ma. »Ach, du bist ein unnützer Bengel, weiter nichts. Für Prinzen habe ich keine Zeit.«
Gussel seufzte, als er an diese Erniedrigung dachte, und versuchte vergebens, Schlaf zu finden. Seine Haare waren noch mit den Schleifen zusammengebunden, und er hatte ein langes Nachtgewand an. Unruhig warf er sich hin und her. Als er sich an die aufregende Flucht aus dem Turm erinnerte, kroch ihm ein Schauder über den Rük-ken. Wie entsetzlich war es, als er auf dem Trapez saß und über dem Abgrund schwebte! Dann fiel ihm wieder sein Onkel ein. Wo mochte er sich befinden? Hatte man ihn womöglich ermordet? Trotz dieser trüben Gedanken schlief der Junge endlich ein.
Bald graute der Morgen. Die Nacht war viel zu kurz für die erschöpften Kinder gewesen. Philipp ging sofort zu dem Bärenkäfig. Man hatte die zerbrochenen Stäbe ein-gesetzt und verstärkt. Die Bären waren satt und schläfrig.
Als sie Philipp erblickten, trotteten sie zu ihm hin und brummten freundlich. Einer steckte sogar seine Tatze durch die Stäbe, um ihn zu begrüßen.
Philipp war zufrieden. Um die Tiere brauchte man sich nicht mehr zu sorgen. Er sprach ein wenig mit ihnen, und sie hörten so aufmerksam zu, als verständen sie jedes Wort.
Fank fühlte sich besser, konnte aber noch nicht daran denken aufzustehen. Philipp besuchte ihn in seinem Wagen. Der kleine Mann drückte ihm unaufhörlich die Hand und überschüttete ihn mit einem Redeschwall. Philipp verstand zwar nichts davon, wußte aber trotzdem, was er sagte. Fank war ihm unaussprechlich dankbar. Er liebte seine Bären, als wären es seine Brüder, und hatte sich fast zu Tode geängstigt, als er hörte, daß sie ausgebrochen waren.
»Ich werde für die Tiere sorgen, bis Sie wieder gesund sind«, versprach Philipp. Fank blickte ihn dankbar an und drückte ihm so kräftig die Hand, daß er leise aufschrie.
Das Wichtigste war nun die Kleidung der Kinder. Der Zirkus sollte bereits nach drei Stunden aufbrechen. Ma mußte sich beeilen, wenn sie die Kinder in dieser kurzen Zeit verkleiden wollte. Sie konnte es nur mit Lucias Hilfe schaffen. Lucia, eine alte gebeugte Frau, verwaltete die Kleider der Zirkusleute, nicht die Alltagskleider, sondern die glitzernden Umhänge und Mäntel, die seidenen Hemden, die prächtigen Westen und Röcke und was sie sonst noch in der Manege trugen. Dieser Kleiderschatz war sehr wertvoll für den Zirkus. Lucia hatte unaufhörlich damit zu tun, ihn in Ordnung zu halten. Sie wusch, nähte, flickte und bügelte und war eine Meisterin in ihrem Fach.
Als der Zirkus aufbrach, hatten sich die Kinder so verändert, daß sie kaum wiederzuerkennen waren. Gesicht, Hals, Arme und Beine waren mit Tonis Schminke braun gefärbt.
Die Mädchen trugen lange Röcke und bunte Tücher und hatten Bänder im Haar. Die Jungens hatten enge Hosen und bunte Hemden an und schienen plötzlich größer geworden zu sein. Lucy starrte Jack überrascht an.
War dieser dunkelhäutige Junge, dessen Zähne so weiß aus dem braunen Gesicht blitzten, wirklich ihr Bruder?
Ma war sehr zufrieden mit ihrem Werk. Am meisten freute sie sich jedoch darüber, wie gut ihr die Verkleidung von Gussel gelungen war. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, daß er ein Junge sein könnte. Er sah wirklich hübsch aus. Die Kinder lachten schallend, als er auf den Stufen von Mas Wagen erschien. Sein Gesicht brannte vor Ärger, Scham und Wut.
»Hier ist meine kleine Enkelin Maria«, stellte Ma lächelnd vor. »Seid recht lieb zu ihr.«
Gussel verzog das Gesicht, als wollte er gleich in Tränen ausbrechen. »Weine nur!« rief Philipp spöttisch. »Das paßt zu Mädchen.«
Dina gab ihm einen Puff. »Nicht alle Mädchen weinen bei
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