Der Zirkus der Abenteur
jeder Gelegenheit. Ach, Kinder, sieht Gussel — ich meine natürlich Maria — nicht köstlich aus?«
»Prima«, sagte Jack. »Er ist schön wie ein Bild. Nur gut, daß er so lange Haare hat! Das ist die Hauptsache dabei.«
»Ich werde sie abschneiden, bald, bald!« rief Gussel wütend. »Schnipp-schnapp!«
»Aber das geht doch nicht«, entgegnete Dina. »Die Prinzen in deiner Heimat müssen die Haare ja lang tragen.«
»Ich will kein Prinz sein!« schluchzte Gussel. Er fühlte sich grenzenlos verlassen und sah beschwörend zu Lucy hin, die das weichste Gemüt von allen besaß. »Laßt mich in Ruhe«, bat er. »Ich schäme mich.«
»Kopf hoch, Gussel — oder vielmehr Maria«, sagte Jack beschwichtigend. »Wenn du erst wieder ein richtiger Prinz bist, wird es dir schon gefallen.«
»Nur, wenn mein Onkel noch lebt«, sagte Gussel ernst.
»Sonst muß ich König sein.«
»Gott erhalte den König!« rief Kiki, während er den Kamm hochstellte. »Hol den Doktor und erhalte den König!«
Der Zirkus wird durchsucht
Bald wand sich eine lange Wagenreihe den Weg hinunter, der von Borken fortführte. Die beiden Mädchen fuhren in Pedros Wagen, während er selber auf dem Bock saß und den kleinen Schecken lenkte, der sein persönliches Eigentum war. Jack fuhr den Wagen von Pedros Mutter, die strahlend zum Fenster hinausschaute. Sie liebte ein wenig Aufregung und brach immer wieder in schallendes Gelächter aus, wenn ihr Blick auf Gussel fiel.
Philipp lenkte den Wagen mit dem Bärenkäfig, während Toni, lustig vor sich hin pfeifend, Fanks kleinen Wohnwagen fuhr. Dem Tierbändiger ging es bedeutend besser.
Es beruhigte ihn, daß dieser fremde Wunderknabe sich seiner Bären angenommen hatte. Auch war er Toni dankbar für seinen Beistand. Die Zirkusleute waren sehr hilfsbereit und ließen einander niemals im Stich. Das war eine ihrer besten Eigenschaften.
Langsam rumpelten die Wagen die Straße entlang.
Man mußte Rücksicht auf die Tiere nehmen. Die beiden Schimpansen guckten neugierig hinaus und schnatterten lebhaft.
Nach einer Weile steckte Dina den Kopf aus dem Fenster. »Wohin fahren wir eigentlich, Pedro?«
Pedro zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wir müssen vor allem von Borken fort, weil es dort sicher Unruhen geben wird. Dann werden die Hauptstraßen bald von Soldaten wimmeln. Deshalb wollen wir später in einen Landweg einbiegen, wo es ruhiger ist.«
Dina wandte sich zu Lucy um. Die Landestracht stand ihr gut. Jeder Fremde mußte sie für ein Mädchen aus Tauri-Hessia halten. »Wir werden in einen Landweg einbiegen«, sagte sie. »Zu dumm, daß wir Mutter und Bill noch immer keine Nachricht geben können! Sie werden sich große Sorgen um uns machen.«
»Sicher haben sie die Polizei alarmiert«, meinte Lucy.
»Aber man wird uns in England suchen und nicht hier. Na, jetzt sind wir wenigstens nicht mehr eingesperrt. Es war so langweilig in dem Turmzimmer. Wir hatten den ganzen Tag nichts zu tun und konnten nur mit den komischen Karten spielen, die Frau Tatiosa uns gegeben hatte.«
Gegen ein Uhr wurde Rast gemacht. Die Wagen fuhren dicht an den Straßenrand und hielten. Die Zirkusleute stiegen aus, setzten sich ins Gras und verzehrten ihr Mittagsbrot. Obwohl es erst April war, schien die Sonne heiß wie im Sommer. Wo das Auge hinschaute, blühten farbenprächtige Blumen.
Philipps Haselmaus kam ebenfalls heraus. Sie hatte sich daran gewöhnt, an seinen Mahlzeiten teilzunehmen.
Aber jeder Lärm erschreckte sie, und sie zeigte sich nur, wenn alles ruhig war. Zutraulich hockte sie sich auf Philipps Hand, knabberte an einer Nuß und blickte hin und wieder mit ihren großen schwarzen Augen zu ihm auf.
»Was hätten wir bloß ohne dich gemacht, als wir in dem Turm eingesperrt waren, Nickerle?« sagte Philipp leise.
»Wir spielten mit dir und lachten über deine drolligen Sprünge. Und als Jack uns dann suchte, schlüpftest du unter der Tür hindurch und zeigtest ihm, wo wir waren.«
Philipp fütterte auch die Bären. Fank, der in seinem Wagen geblieben war, hörte ihr behagliches Grunzen und schlummerte zufrieden ein. Auch die Bären machten ein Mittagsschläfchen, als sich der Zug wieder in Bewegung setzte. Die Wagen befanden sich noch auf der Hauptstraße und sollten in den nächsten Landweg einbiegen.
Aber bevor sie diesen erreichten, ereignete sich ein Zwischenfall.
Drei große Militärautos überholten den langen Zug in schneller Fahrt und hielten an seiner Spitze an. Einige Soldaten und ein
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