Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
viele beschäftigte.
Es kam eine Frage zu den hohen Mieten, da konnte er wieder den Sketch aufführen, und diesmal war Martin besonders gut getroffen, wenn er so naiv mit glockenheller Stimme fragte: »Wieso denn; welcher Makler?« Das Ganze hatte Zug, und der Kandidat war ein virtuoser Fragenbeantworter. Sein Spaß an dieser Form wirkte ansteckend, man sah in ihm nicht nur den Mann der Exekutive, sondern auch, dass er Freude hatte am Dazulernen, an der Interaktion mit den Leuten. Das brachte es mit sich, dass sich seine Sprache anpasste, es ging schneller, er konnte nicht erst viele Vorlagen auswerten, um eine Position zu formulieren. So kam es, dass er bei der vorigen Veranstaltung in Potsdam eine Äußerung zu den Wahlen in Italien formulierte, in der er seine Sorge darüber ausdrückte, dass dort mit Beppe Grillo und Silvio Berlusconi »zwei Clowns« gewonnen hätten. Später im Jahr sollte sich die Frage der politischen Stabilität Italiens erneut stellen, die Märkte aufscheuchen und die spontane Einschätzung Steinbrücks bestätigen. Aber weil der greise italienische Staatspräsident daraufhin ein Abendessen mit dem Kandidaten absagte und »Spiegel online« groß damit aufmachte, wurde daraus abermals ein Steinbrück-Flop. Erneut hatte sich der Fokus auf die Performanz des Kandidaten gerichtet – die Frage der italienischen Verhältnisse und wie sie zu bewerten seien und was das wiederum mit der Politik der Bundesregierung zu tun hatte, die wurde erst viel später gestellt. Ein großer Kenner Italiens, Dirk Schümer, sagte dazu, Clowns sei ein noch viel zu harmloser Begriff gewesen.
Zu den eigenartigen Einfällen der Regie dieses Abends gehörte, dass Steinbrück nach erfolgreich absolvierter Veranstaltung von den Leuten, den Wählern, weg und zu einem Treffen mit sogenannten Unterstützern geführt wurde. Das fand in einer dunklen Nebenhalle statt, zu der man nur auf Einladung Zutritt hatte und die mit sogenannten Loungemöbeln zugestellt war. Steinbrück organisierte höflich das Grüppchen, als sei es seine Party. Bloß, dass er kaum jemanden kannte. Man stellte ihm eine Museumsdirektorin vor, und der Kandidat kam auf die Frage: »Wie wird man eigentlich Museumsdirektorin?« Die Dame elaborierte und bot an, ihm und der ganzen Gesellschaft jederzeit ihr Museum zu zeigen. Sogar jetzt, sofort, denn sie habe ja einen Generalschlüssel. Als Steinbrück daraufhin leicht ausweichend bemerkte, er sei noch nie auf dem Nürnberger Parteitagsgelände gewesen, fiel ihr ein, auch dies lasse sich sofort realisieren! Das wäre die gerade noch fehlende Schlagzeile gewesen: Steinbrücks mitternächtlicher Marsch über das Nazi-Parteitagsgelände.
Unter den Unterstützern war eine sehr kleine, sehr attraktive junge Frau in einem knallroten Kostüm. Sie ließ sich mit dem Kandidaten fotografieren, der etwas irritiert bemerkte, ob sie sich nicht gerade eben schon mit ihm habe ablichten lassen. Nun schauten alle die Dame fragend an, die nur grinste. Endlich wurde sie ordentlich vorgestellt: Es handelte sich um eine ehemalige Fußballspielerin, die sich zur Spielervermittlerin und Fußballmanagerin ausbilden ließ und in dieser Branche bereits jetzt einen fulminanten Ruf besaß. Nun staunten alle, und sie grinste einfach weiter. Es standen auch der Chef einer Regionalzeitung sowie der Verleger der Gelben Seiten beim Kandidaten, das Gespräch plätscherte so dahin. Irgendwann verließ ich den dunklen Saal, stieg dazu über eines der albernen Loungemöbel, die den Weg versperrten, und begab mich in Richtung Ausgang. Die Halle war nun, eine gute Stunde nach Ende der Veranstaltung, keinesfalls leer. Vor der Theke waren die Tische noch gut gefüllt mit einigen Dutzend Zuschauern, die beim Bier große Gespräche führten. Warum der Kandidat nicht bei diesen zum Teil auch jüngeren Leuten saß, sondern den Abend wenige Meter davon entfernt in einem düsteren Nebenzimmer ausklingen lassen musste, bleibt ein ewiges Rätsel der sozialdemokratischen Planung.
Doch die temporeichen Abende in der Klartextarena sind nicht die ganze Länderreise, es gilt auch, die stillen Vormittage in den Wohnvierteln der Republik kennenzulernen.
Das Viertel um den Nürnberger Nordostbahnhof war ein früherer Problembezirk, der durch intensive Sanierung befriedet wurde. Beinahe, sagt der Oberbürgermeister Maly, wäre das Viertel »gekippt«, aber die Wohnungsbaugesellschaft habe, um dies zu verhindern, sehr viel Geld ausgegeben. Sanierung von
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