Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
überlebensgroßen Figuren erklärt. Schwieriger ist das natürlich mit aktiven Politikern, die sich selten für solch einen entrückten Status eignen. Und selbst mit den noch lebenden Hoffnungsträgern im Ruhestand tut sich die Partei schwer: Björn Engholm, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Gerd Schröder sind gesund, aber jeder von ihnen löst mehr Bedenken und Konflikte aus, als sein Charisma überwinden könnte.
Der Letzte, der versucht hatte, die spezifisch sozialdemokratische Form charismatischer Herrschaft zu etablieren, war Franz Müntefering. Doch in diesem Jahr fällt vor allem seine Abwesenheit auf.
Unter den Führungsmännern 2013 steht für solche Verehrung und also für solch eine dominante Position niemand zur Verfügung. Wer ist stattdessen Akteur der Kampagne? Welche sozialen Trägerschichten werden angesprochen, welche sollen mitziehen, sich angesprochen und aufgefordert fühlen? Sind es die 99 Prozent? Soziologisch würde das passen, da liegt ein Thema. Nach all den Jahren der ungleichmäßigen Vermögensentwicklung soll sich wieder auf die Vielen besonnen werden. Doch das sagt der Slogan nicht, denn dazu brauchte er die Opposition zu dem einen Prozent. Aber es ist ein Slogan der Inklusion und Versöhnung, zu dem das starke Verb nun wieder nicht passt. Eigentlich sagt der Slogan: »Versöhnen statt spalten.« Dafür wiederum hat der Satz eine zu aggressive Syntax: Aufgehoben in Versöhnung, braucht es keine Scheidung, auch keine Entscheidung. Wir haben also einen gleichzeitigen Wunsch nach Kollektiv und nach einer distinktiven, ausschließenden Aktion in einem Satz, den diese beiden gegenläufigen Momente aus der Bahn werfen.
Wäre die Lösung, einen dominanten Akteur aus der Partei zu identifizieren, ein »Auf den Kanzler kommt es an« in der Opposition? Eigentlich passt die Figur, nach der sich viele Journalisten sehnen, der starke Mann, nicht mehr so recht in die Zeit. Brauchen die Kollegen so etwas, weil das die oft sehr hierarchischen Strukturen innerhalb einer Redaktion auch in der Politik abbilden würde?
Die Wähler haben heute ihren eigenen Kopf und sind es, nicht zuletzt als Folge der digitalen Revolution, gewohnt, alles selbständig oder mit Maschinen zu gestalten. Auf zentralen Lebensfeldern sind die Mittler weggefallen, man lebt, liebt und arbeitet so autonom wie noch nie. Es wohnen selbstbewusste und informierte Menschen im Land, das Bedürfnis nach einer alles erklärenden und entscheidenden Vaterfigur hat nachgelassen.
Und doch muss es jemanden geben, der nach Jahren des Zauderns mal etwas entscheidet, denn die Bürger können sich nicht um alles kümmern. Die Politik muss ihnen dienen und das Leben leichter machen, im Namen und als Anwalt der Vielen. So wäre »Ich entscheide in Ihrem Sinne« der bessere Slogan gewesen oder, in einer leichten Anlehnung an Herbert Wehner: »Wir kümmern uns.« Möglich auch: eine unpersönliche Konstruktion, das Herausstellen der exekutiven Kompetenz und eine reduzierte Ansprache auf das, was der Wähler eigentlich von diesem ganzen Betrieb erwartet und in den vier Jahren Schwarzgelb auch vermisst hat: »Gut regiert werden.« Oder halt länger, aber ehrlicher: »Wir regieren besser, als wir Wahlkampf machen!«
Das alles, zuletzt der Flop mit dem Slogan, hatte Steinbrück zugesetzt. Seine Parteitagsrede war eine Prüfung, wie er nun viele hatte: extrem bedrohlich, wenn sie nicht gelingt; wenn doch, bringt sie ihm keinen zusätzlichen Punkt.
Seine Rede war zwar gut angekommen, aber wer ihn sehr oft gehört hatte, konnte spüren, dass er sich durch Verve über große Unsicherheit rettete. Die Rede selbst war nicht strukturiert, er wechselte übergangslos von Thema zu Thema, kurz- und langfristige Ziele waren nicht zu unterscheiden, große Thesen wurden vernuschelt, Kleinigkeiten überdeutlich präsentiert. Einzig die auf den Reisen entdeckten Menschen waren ein Lichtblick.
Ansonsten schnurrte die Großveranstaltung einigermaßen reibungslos ab. Die große Partei hat nie nur eine Wahl im Sinn und im Herzen, auch nicht die Bundestagswahl. Auch in den Ländern geht es um viel und für die betroffenen Genossen im Zweifel um mehr. Der saarländische SPD -Chef Heiko Maas machte eine bestürzte Miene, als ich ihn frage, wie es geht. Er meinte damit aber nicht die Lage im Bund, sondern kam sofort auf den katastrophalen »Tatort« des Saarländischen Rundfunks zu sprechen, den ich in einer Rezension für die FAZ negativ besprochen hatte.
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