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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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dass Frauen kürzere Arme haben als Männer. Er sagte, das ist keine Entschuldigung dafür, sich mit dem Bordstein anzulegen, wenn du nicht rankommst, musst du eben aussteigen, Frau. Jedenfalls war sie jetzt da auf dem Parkplatz und quälte als ihren persönlichen Beitrag zum Kampf der Geschlechter einen Autoreifen. Und sie war jetzt schon dort, weil sie nicht erleben wollte, wie er sie vom Zug aus nicht anschaute. Und er schaute sie vom Zug aus nicht an, weil sie im allerletzten Moment immer noch einen Extraposten auf die verfluchte Auftragsliste setzen musste.
    Stilton von Paxton’s, wie üblich. Sortiment Zwirn, Nadeln, Reißverschlüsse und Knöpfe, wie üblich. Gum miringe für Einweckgläser, wie üblich. Loser Puder von Elizabeth Arden, wie üblich. In Ordnung, wie üblich. Doch jedes Jahr fiel ihr am D-Day minus dreißig Sekun den zusätzlich noch etwas ein, das eigens dazu bestimmt war, ihn auf einen operativen Erkundungsgang durch die ganze Stadt zu schicken. Treib ein bestimmtes Glas auf als Ersatz für das, das uns kaputtgegangen ist – soll hei ßen für das Glas, das du, Major a. D. Jacko Jackson oder vielmehr vormals a. D., doch z. Z. vor das Kriegsgericht der NAAFI gestellt, vorsätzlich und böswillig kaputt geschlagen hast, nachdem du fleißig dem Gurgelwasser zugesprochen hattest. Völlig sinnlos, darauf hinzuwei sen, dass diese Gläser schon nicht mehr lieferbar waren, als wir unsere aus zweiter Hand gekauft haben. Dieses Jahr hieß es, geh in die große Filiale von John Lewis in der Oxford Street und frag, ob sie so ein Außenteil für die Salatschleuder haben, das einen lebensbedrohlichen Knacks hat, seit ein gewisser Herr es fallen ließ, das In nenteil ist nämlich noch gut zu gebrauchen, und viel leicht verkaufen sie das Außenteil ja separat. Und dann hatte sie ihm auf dem Parkplatz das funktionierende Teil unter die Nase gehalten, das sollte er mitnehmen, damit er nicht etwa die falsche Größe kaufte. Wollte es ihm praktisch in den Seesack stopfen. Bah.
    Immerhin konnte sie gut Kaffee kochen, das musste er ihr lassen. Er stellte die Thermoskanne auf dem Tischchen ab und wickelte das Päckchen aus der Folie. Schokikeksi. Jackos Schokikeksi. Insgeheim nannte er sie immer noch so. War das richtig oder falsch? War man so jung, wie man sich fühlte, oder so alt, wie man aussah? Das war heutzu tage die große Frage, wie ihm schien. Vielleicht die einzige Frage. Er schenkte sich Kaffee ein und aß einen Keks. Die sanfte, vertraute, graugrüne englische Landschaft beru higte ihn und stimmte ihn dann fröhlich. Schafe, Kühe, Bäume mit Föhnfrisur. Ein Kanal lag träge in seinem Bett. Machen Sie dem Kanal Beine, Sergeant-Major. Jawoll, Sir .
    Er fand die diesjährige Postkarte recht gelungen. Ein Prunkschwert in der Scheide. Sehr dezent, dachte er. In früheren Zeiten hatte er Ansichtskarten mit Feldgeschützen und berühmten Schlachtfeldern aus dem Bürgerkrieg geschickt. Tja, da war er auch noch jünger. Liebe Babs, Treffen am 17. des Monats. Halt dir den Nachmittag frei. Viele Grüße, dein Jacko. Ganz offen. War nie auf die Idee gekommen, die Karten in einen Umschlag zu stecken. Regeln der Geheimhaltung, Abschnitt 5b, Paragraph 12: Der Feind erkennt höchst selten, was er direkt vor Augen hat. Er machte sich nicht mal die Mühe, nach Shrewsbury zu fahren. Steckte die Karte einfach in den Briefkasten im Dorf.
    War man so jung, wie man sich fühlte, oder so alt, wie man aussah? Der Schaffner, oder Fahrkartenkontrolleur, oder Zugbegleiter oder wie die sich jetzt nannten, hatte ihn keines Blickes gewürdigt. Der sah nur ein Seniorenticket zu ermäßigtem Preis und hielt ihn für einen problemlosen und uninteressanten Alten, einen Geizkragen, der seinen eigenen Kaffee mitbrachte, um Geld zu sparen. Na, das stimmte ja auch. Die Rente reichte nicht mehr so weit wie früher. Seine Mitgliedschaft im Club hatte er schon lange gekündigt. Von dem alljährlichen Regimentstreffen abgesehen, musste er nur dann nach London, wenn seine Beißwerkzeuge Sperenzchen machten und er dem Pferdedoktor vor Ort nicht zutraute, sie wieder auf Vordermann zu bringen. War viel vernünftiger, in einer Pension am Bahnhof zu übernachten. Wenn man zum Frühstück die volle Palette nahm und mit Geschick ein Würstchen extra ergatterte, war man für den ganzen Tag versorgt. Freitag dasselbe nochmal, das hielt dann vor, bis man wieder zu Hause war. Zurück am Standort. Melde mich zum Dienst, alle Salatschleudern pünktlich und

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