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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Merrill.« Und was ich alles weiß.
    »Ja, was ich alles weiß.«
    Janice schob ihr Frühstück zur Seite, damit sie die Ellbogen aufstützen konnte. Ein halbes Schälchen Granola und eine Scheibe Toast. Zwei Tassen Tee. Flüssigkeiten liefen heutzutage so schnell durch sie durch. Sie sah Merrill an, das spitze Gesicht und die flach anliegenden Haare, die nicht überzeugend wirkten. Sie war ihre Freundin. Und weil sie ihre Freundin war, würde Janice sie vor dem beschützen, was sie über ihren entsetzlichen Mann wusste. Es war ganz gut, dass sie sich erst als Witwen kennen gelernt hatten; Bill hätte Tom verabscheut.
    Ja, sie war ihre Freundin. Und dennoch … War sie nicht eher eine Verbündete? So, wie das früher gewesen war. Als Kind glaubte man, Freunde zu haben, aber in Wirklichkeit hatte man nur Verbündete – Leute, die einem zur Seite standen und an die man sich halten konnte, bis man erwachsen war. Dann – so war es bei ihr gewesen – verließen sie einen, und man hatte mit dem Erwachsensein zu tun und mit Bill und den Kindern, und dann gingen die Kinder aus dem Haus, und Bill starb.
    Und dann? Dann brauchte man wieder Verbündete, Leute, die einem bis zum Ende beistanden. Verbündete, die an München dachten und sich an die alten Filme erinnerten, die immer noch die besten waren, auch wenn man sich Mühe gab, die neuen Filme zu mögen. Verbündete, die einem halfen, ein Steuerformular zu verstehen und kleine Marmeladentöpfchen aufzumachen. Verbündete, die sich auch Sorgen um Geld machten, obwohl man manchmal dachte, einige von ihnen hätten mehr, als sie zugeben wollten.
    »Hast du schon gehört«, sagte Merrill, »dass sie bei Stanhope die Einlage verdoppelt haben?«
    »Nein, wie hoch ist sie jetzt?«
    »Tausend pro Jahr. Von fünfhundert raufgesetzt.«
    »Also, schön ist es da schon. Aber die Zimmer sind sehr klein.«
    »Die sind überall klein.«
    »Und ich brauche drei Zimmer. Ich muss unbedingt drei Zimmer haben.«
    »Jeder braucht drei Zimmer.«
    »Im Norton sind die Zimmer groß. Und es liegt mitten in der Stadt.«
    »Aber die anderen Leute sind langweilig, hab ich gehört.«
    »Ich auch.«
    »Ich mag Wallingford nicht.«
    »Ich mag Wallingford auch nicht.«
    »Vielleicht muss es doch Stanhope sein.«
    »Wenn sie einfach so die Einlage verdoppeln, kann dir niemand garantieren, dass sie nicht auch das Wohngeld verdoppeln, kaum dass du eingezogen bist.«
    »Wo Steve ist, haben sie ein gutes System. Man soll ei nen Zettel aushängen, auf dem steht, womit man anderen helfen kann – zum Beispiel, dass man jemanden ins Kran kenhaus fahren oder Regale aufbauen kann oder sich mit Steuerformularen auskennt.«
    »Das finde ich gut.«
    »Wenn es einen nur nicht zu abhängig von anderen Leuten macht.«
    »Das finde ich nicht gut.«
    »Ich mag Wallingford nicht.«
    »Ich mag Wallingford nicht.«
    Sie schauten sich einvernehmlich an.
    »Kellner, können wir getrennte Rechnungen haben?«
    »Ach, das können wir doch selbst teilen, Merrill.«
    »Aber ich hatte noch das Ei.«
    »Ach, Unsinn.« Janice hielt ihr einen Zehndollarschein hin. »Reicht das?«
    »Tja, wenn wir halbe-halbe machen, sind es zwölf.«
    Typisch Merrill. Typisch Merrill, was die sich herausnimmt. Bei dem Geld, das ihr der Campus-Fummler hinterlassen hat. Tausend Dollar im Jahr, nur um auf der Warteliste zu bleiben, das ist für die eine Kleinigkeit. Und sie hatte auch noch den Saft zusätzlich zu dem Ei. Doch Janice knipste nur ihren Geldbeutel auf, nahm zwei Dollarscheine heraus und sagte: »Ja, wir machen halbe-halbe.«

[Menü]
HYGIENE
    »Okay, alles klar zum Gefecht.« Sein Seesack war zwischen den Sitzen verstaut, sein Regenmantel neben ihm zusammengefaltet. Fahrkarte, Brieftasche, Waschzeug, Kondome, Auftragsliste. Zum Kuckuck mit der Auftragsliste. Als der Zug abfuhr, blickte er stur geradeaus. Mit solchen Rührseligkeiten durfte man ihm nicht kommen: Fenster runter, Taschentuch raus, Tränen verdrücken. Die Fenster gingen heutzutage sowieso nicht mehr runter, jetzt hockte man zwischen anderen alten Trotteln mit Billigticket in diesen Viehwaggons und glotzte durch hermetisch verschlossenes Glas nach draußen. Und Pamela wäre auch gar nicht da, falls er doch gucken sollte. Sie war draußen auf dem Parkplatz und ruinierte die Felgen an der Betonschwelle, während sie versuchte, den Astra näher an den Parkscheinautomaten ranzufahren. Sie beklagte sich ständig, diese Sperren würden von Männern entworfen, die nicht bedachten,

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