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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Merrill, auch wenn du dir noch so Leid tust, du musst dafür sorgen, dass du für ihn nach etwas aussiehst, für das es sich zu leben lohnt. Ich hab mir sogar etwas Neues zum Anziehen gekauft. Dann hat er gesagt: ›Liebling, das hab ich noch gar nicht an dir gesehen, oder?‹ und hat mich angelächelt.«
    Janice nickte, stellte sich die Szene aber anders vor: Der Campus-Fummler sieht auf dem Sterbebett, wie seine Frau Geld für neue Kleider ausgibt, um seinem Nachfolger zu gefallen. Sie schämte sich umgehend für diesen Gedanken und sprach eilig weiter. »Bill hat gesagt, wenn es eine Möglichkeit gibt, mir eine Botschaft zu schicken – hinterher –, dann findet er sie. Irgendwie würde er mich schon erreichen.«
    »Die Ärzte sagten, sie hätten noch nie erlebt, dass einer so lange durchhält. So ein tapferer Mann, sagten sie. Ich sagte, Eichenlaub am Bande.«
    »Aber ich glaube, auch wenn er versuchen sollte, mir eine Botschaft zu schicken, kann ich sie vielleicht gar nicht erkennen. Damit tröste ich mich. Obwohl es ein unerträglicher Gedanke ist, dass Bill mich erreichen will und sieht, dass ich ihn nicht verstehe.«
    Gleich fängt sie wieder mit diesem Reinkarnationsquatsch an, dachte Merrill. Dass wir alle als Eichhörnchen wieder geboren werden. Hör mal, mein Kind, dein Mann ist nicht nur tot, sondern als er noch am Leben war, da hat er beim Gehen mit den Händen gewackelt, verstehst du, was ich meine? Nein, das würde sie wahrscheinlich nicht kapieren. Dein Mann hieß auf dem Campus nur die kleine englische Schwuchtel aus der Verwaltung – ist das deutlicher? Er war ein Teekännchen, okay? Nicht, dass sie das Janice je wirklich erzählen würde. Viel zu sensibel. Sie wäre am Boden zerstört.
    Es war seltsam. Dieses Wissen gab Merrill ein Gefühl der Überlegenheit, nicht aber der Macht. Sie dachte nur, jemand muss sich um sie kümmern, da ihr Mann, diese kleine Schwuchtel, nun nicht mehr ist, und offenbar hast du dich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet, Merrill. Auch wenn die Kleine dich ab und zu auf die Palme bringt, Tom hätte sicher gewollt, dass du ihr beistehst.
    »Noch Kaffee, die Damen?«
    »Ich hätte gern frischen Tee, bitte.«
    Janice war darauf gefasst, dass der Kellner ihr zum wiederholten Mal die Auswahl von English Breakfast, Orange Pekoe und Earl Grey anbieten würde. Doch er räumte nur das winzige Ein-Tassen-Kännchen ab, von dem die Amerikaner aus mysteriösen Gründen meinten, es reiche für den Morgentee aus.
    »Was macht deine Hüfte?«, fragte Merrill.
    »Ach, die ist viel besser geworden. Ich bin so froh, dass ich das hab machen lassen.«
    Als der Kellner zurückkam, warf Janice einen Blick auf die Kanne und sagte scharf: »Ich wollte frischen Tee.«
    »Verzeihung?«
    »Ich sagte, ich wollte frischen Tee. Ich hab nicht bloß neues heißes Wasser bestellt.«
    »Verzeihung?«
    »Das da«, sagte Janice und deutete auf die Kanne, aus der ein gelbes Etikett heraushing, »ist doch dasselbe alte Teekännchen von vorhin.« Sie funkelte den hochnäsigen jungen Mann zornig an. Sie war wirklich böse.
    Hinterher fragte sie sich, warum er so eingeschnappt war und warum Merrill plötzlich in irrsinniges Gelächter ausbrach, ihren Kaffeebecher erhob und sagte: »Auf dein Wohl, meine Liebe.«
    Janice hob ihre leere Tasse, und sie prosteten sich mit einem dumpfen, nicht nachklingenden Klacken zu.

[Menü]
3
    »Wenn es was mit dem Knie ist, ist er der richtige Mann. Sie saß nach zwei Tagen wieder hinter dem Steuer.«
    »Das ist schnell«, sagte Merril.
    »Neulich hab ich Steve gesehen.«
    »Und?«
    »Nicht gut.«
    »Das Herz, nicht wahr?«
    »Und er hat mächtig Übergewicht.«
    »Das sollte man sowieso vermeiden.«
    »Meinst du, es gibt eine Beziehung zwischen dem Herzen und dem Herzen?«
    Merrill schüttelte lächelnd den Kopf. Sie war so ein lustiges kleines Ding, diese Janice. Ein sprunghaftes Wesen. »Ich kann dir nicht folgen, Janice.«
    »Oh, meinst du, man kann einen Herzanfall bekommen, weil man verliebt ist?«
    »Ich weiß nicht.« Sie überlegte kurz. »Aber ich weiß etwas anderes, wovon man einen Herzanfall bekommen kann.« Janice schaute verwirrt drein. »Nelson Rockefeller.«
    »Was hat denn der damit zu tun?«
    »Der ist so gestorben.«
    »Wie ist der gestorben?«
    »Es hieß, er habe noch spät in der Nacht an einem Kunstbuch gearbeitet. Na, das hab ich nicht eine Minute lang geglaubt.« Sie wartete, bis sicher war, dass Janice begriffen hatte.
    »Was du alles weißt,

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